Joseph Roth
2. September 1894 – 27. Mai 1939
Moses Joseph Roth (* 2. September 1894 in Brody, Ostgalizien, Österreich-Ungarn; † 27. Mai 1939 in Paris) war ein österreichischer Schriftsteller und Journalist.
Roth stammte aus einem bürgerlichen Elternhaus galizischer Juden. Während seines Studiums der Germanistik an der Universität Lemberg und später in Wien verfasste er seine ersten literarischen Arbeiten. Zum Ende seiner Militärzeit wandte sich Roth, der am Ersten Weltkrieg als Soldat teilnahm, dem Journalismus zu. 1923 erreichte er eine Anstellung bei der Frankfurter Zeitung. In der Wiener Arbeiter-Zeitung debütierte er mit dem Feuilletonroman Das Spinnennetz. Es folgten Zeitromane wie das Hotel Savoy und Die Rebellion. Die ironisch-distanziert erzählten Tatsachenberichte warfen ein skeptisches Licht auf die Nachkriegszeit. 1930 erschien der Roman Hiob, mit dem Roths zweite Schaffensphase begann. Im Gegensatz zu den früheren Romanen, die sich durch einen klaren wie zugänglichen Stil auszeichnen, stehen sich fortan die kräftige Bildlichkeit des Alten Testaments und die Drastik des Geschehens gegenüber. Die Fabel als Gattungsform wird gleichfalls abgewandelt aufgegriffen. In seinem 1932 erschienenen Roman Radetzkymarsch, einem Requiem auf das Habsburgerreich, schildert er anhand des Werdegangs der Familie Trotta den Zerfall Österreich-Ungarns. Der historische Roman, eine elegische Wiedererweckung des Habsburgerreiches und Verfallsanalyse zugleich, gehört zu den bedeutendsten deutschsprachigen Romanen des 20. Jahrhunderts. In seiner letzten Schaffensphase nahm Roth, der seit 1933 aufgrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten im französischen Exil leben musste, mit Romanen wie Beichte eines Mörders, erzählt in einer Nacht (1936) oder Das falsche Gewicht (1937) die Fabel als Grundform des Erzählens wieder auf, wie er mit dem Österreichroman Die Kapuzinergruft aus dem Jahre 1938 an Radetzkymarsch anschloss. Roth starb im Alter von nur 44 Jahren in Paris an seiner Alkoholkrankheit. Neben den beiden bedeutenden Romanen Hiob und Radetzkymarsch sind es unter anderem die Novelle Die Legende vom heiligen Trinker und der Essay Juden auf Wanderschaft, die seinen Rang als einen der wichtigsten deutschsprachigen Erzähler der ersten Jahrhunderthälfte begründen. Roth wurde im galizischen Schtetl Brody geboren, das damals zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehörte. Brody war Grenzstadt zum russischen Wolhynien. Seine Mutter Maria Grübel stammte aus einer in Brody ansässigen jüdischen Kaufmannsfamilie, sein Großvater handelte mit Tuch, seine fünf Onkel mit Hopfen. Roths Vater Nachum Roth stammte aus orthodox-chassidischem Umfeld. Bei der Heirat 1892 war er Getreidehändler im Auftrag einer Hamburger Firma. Als von ihm in Kattowitz eingelagerte Ware veruntreut wurde, musste er zur Regelung der Angelegenheit nach Hamburg reisen. Auf der Rückreise wurde er durch sein Verhalten im Zug auffällig. Er wurde deswegen zunächst in eine Anstalt für Geisteskranke eingewiesen, dann seinen westgalizischen Verwandten übergeben, die ihn der Obhut eines russisch-polnischen Wunderrabbis überließen, an dessen Hof ihn Jahre später einer der Onkel Joseph Roths ausfindig machte. Dieser beschrieb den Vater als sehr schön, unaufhörlich lachend und völlig unzurechnungsfähig.Joseph Roth hat seine Herkunft zum Gegenstand von Verschleierung und Mystifikation gemacht. Vor allem die Person seines Vaters erschien in mehrfachen schillernden Umgestaltungen: Er sei der außereheliche Sohn eines österreichischen Offiziers, eines polnischen Grafen, eines Wiener Munitionsfabrikanten. Roth behauptete auch, in Szwaby (Schwaby), einem kleinen Dorf in der Nähe von Brody, geboren worden zu sein, dessen Einwohner mehrheitlich deutschstämmig waren, im Gegensatz zur jüdischen Bevölkerungsmehrheit in Brody. Tatsächlich lag Roths Geburtshaus in einem Viertel um den Bahnhof von Brody, das damals bei den Einwohnern den Beinamen „Schwabendorf“ oder „Szwaby“ hatte, weil hier die Familien ehemaliger deutscher Einwanderer wohnten. Roths Geburtshaus wurde im sowjetisch-ukrainischen Krieg 1919/1920 zerstört. Der frühe Vaterverlust und in übertragener Form der Verlust des Vaterlandes, nämlich der österreichischen Monarchie, zieht sich als roter Faden durch Roths Werk. Roth berichtete von einer von Armut und Dürftigkeit geprägten Kindheit und Jugend. Demgegenüber weisen Fotografien aus der Zeit und die Berichte seiner Verwandten zwar nicht auf Wohlhabenheit, aber auf durchaus bürgerliche Lebensumstände hin: Seine Mutter hatte ein Dienstmädchen, Joseph erhielt Violinunterricht und besuchte das Gymnasium. In anderer als materieller Hinsicht war die Lage seiner Mutter allerdings tatsächlich prekär: Sie war nicht Witwe, da ihr Mann noch lebte bzw. als vermisst galt. Scheiden lassen konnte sie sich nicht, da dies einen Scheidebrief (Get) ihres Mannes erfordert hätte, dazu jedoch hätte dieser bei Sinnen sein müssen. Außerdem galt im orthodoxen Judentum Galiziens Wahnsinn als Fluch Gottes, der auf der ganzen Familie lag und die Heiratsaussichten der Kinder deutlich verschlechterte. Deshalb wurde in der Familie über das Schicksal des Vaters geschwiegen, und man nahm lieber das Gerücht hin, Nachum Roth habe sich erhängt. Die Mutter lebte zurückgezogen und versorgte den Haushalt des Großvaters bis zu dessen Tod im Jahre 1907. Sie konzentrierte sich auf die Erziehung des Sohnes, der abgeschlossen und behütet aufwuchs. Ab 1901 besuchte Joseph Roth die Baron-Hirsch-Schule in Brody, eine vom jüdischen Eisenbahnmagnaten und Philanthropen Maurice de Hirsch gegründete Handelsschule, die sich, anders als die Cheder genannten orthodoxen Traditionsschulen, nicht auf den religiösen Unterricht beschränkte, sondern wo über Hebräisch und Thorastudium hinaus auch Deutsch, Polnisch und praktische Fächer unterrichtet wurden. Unterrichtssprache war Deutsch. Von 1905 bis 1913 besuchte Roth das Kronprinz-Rudolf-Gymnasium in Brody. Es ist nicht ganz klar, ob das Schulgeld von 15 Gulden pro Semester (eine erhebliche Summe; in dieser Zeit war allerdings bereits die Kronenwährung eingeführt) von seinem Vormund und Onkel Siegmund Grübel bezahlt wurde, ob er ein Stipendium hatte oder ihm das Schulgeld erlassen wurde. Er war ein guter Schüler. Das Gymnasium hielt für schon bestehende Klassen bis 1914 an Deutsch als Unterrichtssprache fest. Als einziger Jude seines Jahrgangs legte er 1913 die Matura sub auspiciis Imperatoris ab. Auf seine Mitschüler wirkte er teils zurückhaltend, teils arrogant, ein Eindruck, den er auch später bei seinen Kommilitonen an der Wiener Universität hinterließ. In diese Zeit fallen seine ersten schriftstellerischen Arbeiten (Gedichte). Zusammen mit anderen bekannten ehemaligen Schülern wird Roth in einem schuleigenen Museumsraum geehrt. Nach seiner Matura (Abitur) im Mai 1913 übersiedelte Roth nach Lemberg, in die Hauptstadt Galiziens, wo er sich an der Universität Lemberg immatrikulierte. Unterkunft fand er bei seinem Onkel Siegmund Grübel, doch scheint es zwischen dem nüchternen Kaufmann und dem angehenden Dichter bald zu Spannungen gekommen zu sein. Eine mütterliche Freundin für viele Jahre fand er in der damals 59-jährigen Helene von Szajnoda-Schenk, einer gebrechlichen, aber geistig sehr lebhaften und hochgebildeten Dame, die im Haus des Onkels eine Wohnung gemietet hatte. Auch mit seinen Cousinen Resia und Paula verband ihn bald Freundschaft. Die Atmosphäre Lembergs war damals geprägt von sich verschärfenden Spannungen, nicht nur zwischen den Nationalitäten (an der Universität kam es zu Kämpfen zwischen polnischen und ruthenischen Studenten), auch innerhalb des Judentums gärte die Auseinandersetzung zwischen Chassidismus, Haskala (Aufklärung) und der immer stärker werdenden zionistischen Bewegung. Inwieweit Roth tatsächlich in Lemberg studiert hat, ist nicht klar. Er hielt sich schon im Herbst 1913 zeitweise in Wien auf, wo er vom 2. bis 9. September 1913 am XI. Zionisten-Kongress teilnahm. In Brody war Roths Jahrgang der letzte mit Deutsch als Unterrichtssprache gewesen, an der Universität Lemberg war seit 1871 Polnisch die Unterrichtssprache. Dass Roth seine literarische Heimat in der deutschen Literatur sah, war möglicherweise einer der Gründe, Lemberg zu verlassen und sich für das Sommersemester 1914 an der Wiener Universität zu immatrikulieren. In Wien nahm sich Roth zunächst ein kleines Zimmer im 2. Gemeindebezirk, der Leopoldstadt, wo viele Juden lebten. Im folgenden Semester bezog er mit seiner Mutter, die vor den Wirren des ausbrechenden Ersten Weltkrieges nach Wien geflohen war, eine kleine Wohnung im benachbarten 20. Bezirk, Brigittenau (Wallensteinstraße 14/16). Roth und seine Mutter, später auch die Tante Rebekka (Riebke), lebten in dieser ersten Zeit in recht dürftigen Umständen. Roth war ohne Einkünfte, seine Mutter bezog eine geringe Flüchtlingshilfe. Nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges erfolgten die Zuwendungen von Onkel Siegmund wegen der russischen Okkupation nur sporadisch. Roth begann das Studium der Germanistik. Er legte Wert darauf, in den Prüfungen erfolgreich abzuschneiden und von den Professoren zur Kenntnis genommen zu werden. Im Nachhinein urteilte er negativ über Studenten und Lehrer. Eine Ausnahme bildete Walther Brecht, der Ordinarius für Neuere deutsche Literatur. Heinz Kindermann, Brechts Assistent, wurde zu einer Art Rivale. In der 1916 erschienenen ersten Erzählung Roths, Der Vorzugsschüler, war Kindermann Vorbild für die Hauptfigur Anton Wanzl, einen mit einigem Hass und einiger Kenntnis geschilderten Charakter.Bald besserte sich die materielle Situation. Stipendien und Hauslehrerstellen (unter anderem bei der Gräfin Trautmannsdorff) erlaubten Roth die Anschaffung guter Anzüge. Mit Bügelfalte, Stock und Monokel beschrieben ihn Zeugen der Zeit als Abbild des Wiener „Gigerls“ (Dandys). Zum wegweisenden Erlebnis wurde für Roth der Erste Weltkrieg und der darauf folgende Zerfall Österreich-Ungarns. Im Gegensatz zu vielen anderen, die bei Kriegsausbruch von nationaler Begeisterung erfasst wurden, vertrat er zunächst eine pazifistische Position und reagierte mit einer Art erschreckten Bedauerns. Doch im Verlauf der Zeit erschien ihm, der als kriegsuntauglich eingestuft worden war, die eigene Haltung als beschämend und peinlich: „Als der Krieg ausbrach, verlor ich meine Lektionen, allmählich, der Reihe nach. Die Rechtsanwälte rückten ein, die Frauen wurden übelgelaunt, patriotisch, zeigten eine deutliche Vorliebe für Verwundete. Ich meldete mich endlich freiwillig zum 21. Jägerbataillon.“Am 31. Mai 1916 meldete Roth sich zum Militärdienst und begann am 28. August 1916 seine Ausbildung als Einjährig-Freiwilliger. Er und sein Freund Józef Wittlin optierten für das 21. Feldjäger-Bataillon, dessen Einjährigen-Schule sich im 3. Wiener Bezirk befand. Ursprünglich war geplant, das Studium in der Freizeit fortzusetzen. In die Zeit der Ausbildung fiel der Tod von Kaiser Franz Joseph I. am 21. November 1916. Roth stand im Spalier der Soldaten entlang des Beerdigungszuges: „Der Erschütterung, die aus der Erkenntnis kam, daß ein historischer Tag eben verging, begegnete die zwiespältige Trauer um den Untergang eines Vaterlandes, das selbst zur Opposition seine Söhne erzogen hatte.“ Der Tod des 86-jährigen Kaisers wird zu einem zentralen Symbol für den Untergang des Habsburgerreiches und den Verlust von Heimat und Vaterland mehrfach in Roths Werken, unter anderem in den Romanen Radetzkymarsch und Die Kapuzinergruft. Roth wurde nach Galizien zur 32. Infanterietruppendivision versetzt. Von 1917 bis wahrscheinlich zum Kriegsende war er dem militärischen Pressedienst im Raum Lemberg zugeteilt. Roths angebliche russische Kriegsgefangenschaft ist nicht nachweisbar, mögliche Akten oder persönliche Briefe dazu sind nicht erhalten.Nach Kriegsende musste Joseph Roth sein Studium abbrechen und sich auf den Erwerb des Lebensunterhalts konzentrieren. Bei der Rückkehr nach Wien fand er zunächst Unterkunft bei Leopold Weiss, dem Schwager seines Onkels Norbert Grübel. Nach einem Aufenthalt in Brody geriet er auf dem Rückweg in die Auseinandersetzungen zwischen polnischen, tschechoslowakischen und ukrainischen Einheiten, aus denen er nur mit Mühe zurück nach Wien entkam. Noch während seiner Militärzeit begann Roth, Berichte und Feuilletons für die Zeitschriften Der Abend und Der Friede zu schreiben. In Österreichs Illustrierter Zeitung erschienen Gedichte und Prosa. Im April 1919 wurde er Redakteur bei der Wiener Tageszeitung Der Neue Tag, die auch Alfred Polgar, Anton Kuh und Egon Erwin Kisch zu ihren Mitarbeitern zählte. In dieser Zeitung veröffentlichte er seine Artikel in der Rubrik „Wiener Symptome“ unter dem Namen „Josephus“. In diesem beruflichen Umfeld gehörte es dazu, Stammgast im Café Herrenhof zu sein, wo Roth im Herbst 1919 seine spätere Frau Friederike (Friedl) Reichler kennenlernte. Ende April 1920 stellte der Neue Tag sein Erscheinen ein. Roth zog nach Berlin. Dort hatte er zunächst Schwierigkeiten mit seiner Aufenthaltsgenehmigung wegen der Unklarheiten und Fiktionen in seinen Dokumenten. So hatte beispielsweise ein befreundeter Pfarrer ihm einen Taufschein ausgestellt, in dem als Geburtsort Schwaben in Ungarn eingetragen war. Bald erschienen Beiträge von ihm in verschiedenen Zeitungen, darunter die Neue Berliner Zeitung. Ab Januar 1921 arbeitete er hauptsächlich für den Berliner Börsen-Courier. Im Herbst 1922 kündigte er die Mitarbeit beim Börsen-Courier auf. Er schrieb: „Ich kann wahrhaftig nicht mehr die Rücksichten auf ein bürgerliches Publikum teilen und dessen Sonntagsplauderer bleiben, wenn ich nicht täglich meinen Sozialismus verleugnen will. Vielleicht wäre ich trotzdem schwach genug gewesen, für ein reicheres Gehalt meine Überzeugung zurückzudrängen, oder für eine häufigere Anerkennung meiner Arbeit.“ Im gleichen Jahr erkrankte Roths Mutter an Gebärmutterhalskrebs und wurde in Lemberg operiert, wo sie der Sohn kurz vor ihrem Tod zum letzten Mal sah. Ab Januar 1923 arbeitete er als Feuilletonkorrespondent für die renommierte Frankfurter Zeitung, in der in den folgenden Jahren ein großer Teil seiner journalistischen Arbeiten erschien. Wegen der Inflation in Deutschland und Österreich und der deshalb abwechselnd relativ schlechteren wirtschaftlichen Lage pendelte Roth in dieser Zeit mehrfach zwischen Wien und Berlin und schrieb außer für die FZ auch Artikel für die Wiener Sonn- und Montags-Zeitung, das Neue 8-Uhr-Blatt (Wien), Der Tag (Wien) und das Prager Tagblatt sowie für den deutschsprachigen Pester Lloyd in Budapest. Während dieser Zeit arbeitete er auch an seinem ersten Roman, Das Spinnennetz, der im Herbst 1923 als Fortsetzungsroman in der Wiener Arbeiter-Zeitung abgedruckt wurde, aber unvollendet blieb. Sein Verhältnis zur Frankfurter Zeitung und dem damals für die Feuilletonredaktion zuständigen Benno Reifenberg blieb nicht frei von Reibungen. Roth fühlte sich nicht hinreichend geschätzt und versuchte dies durch Honorarforderungen zu kompensieren. Als er sich von der Zeitung trennen wollte, bot man ihm an, als Korrespondent in Paris weiterzuarbeiten. Roth nahm an, siedelte im Mai 1925 nach Paris über und äußerte sich in seinen ersten Briefen enthusiastisch über die Stadt. Als er ein Jahr später als Korrespondent von Friedrich Sieburg abgelöst wurde, war er schwer enttäuscht. Sie ahnen nicht, wieviel privat und die litterarische Carriere betreffend mir zerstört wird, wenn ich Paris verlasse, schrieb er am 9. April 1926 an Reifenberg.Zum Ausgleich verlangte er, von der FZ mit großen Reisereportage-Serien beauftragt zu werden. Von August bis Dezember 1926 bereiste er daher die Sowjetunion, von Mai bis Juni 1927 Albanien und Jugoslawien, im Herbst 1927 das Saargebiet, von Mai bis Juli 1928 Polen und im Oktober/November 1928 Italien. Im Juni 1929 kündigte er seine Mitarbeit an der FZ auf. Dennoch schrieb Roth auf freier Basis weiterhin für die FZ, unter anderem umfangreiche Gerichtsreportagen über den Caro-Petschek-Prozess, einen der aufwändigsten Strafprozesse in der Endphase der Weimarer Republik.Roth zeichnete parallel zu seiner FZ-Mitarbeit als „Der rote Joseph“ Beiträge für die sozialistische Zeitung Vorwärts. Er pflegte in seinen Berichten und Feuilletons einen beobachtenden Stil und zog aus den wahrgenommenen Lebensfragmenten und unmittelbaren Äußerungen menschlichen Unglücks Folgerungen soziale Missstände und die politischen Verhältnisse betreffend. Freunde und Kollegen kritisierten ihn heftig, als er 1929 gegen gute Bezahlung für die nationalistischen Münchner Neuesten Nachrichten schrieb. In der Zeit vom 18. August 1929 bis zum 1. Mai 1930 verfasste er ca. 30 Beiträge für die Münchner Neuesten Nachrichten. Sein Vertrag dort sah 2000 Mark monatlich für mindestens zwei zu liefernde Beiträge vor. Am 5. März 1922 heiratete Roth in Wien die am 12. Mai 1900 geborene Friederike (Friedl) Reichler, die er im Herbst 1919 im Literatencafé „Herrenhof“ kennengelernt hatte. Die junge Frau war Angestellte in einer Gemüse- und Obsthandelszentrale und wie er jüdisch-galizischer Herkunft. Der attraktiven und intelligenten Frau entsprach das ruhelose Leben an der Seite eines reisenden Starjournalisten nicht. Roth dagegen zeigte Symptome einer fast pathologischen Eifersucht. 1926 traten erste Symptome einer geistigen Erkrankung Friedls zutage, 1928 wurde ihre Krankheit manifest. Sie wurde zunächst in der Berliner Nervenheilanstalt Westend behandelt, dann wohnte sie, von einer Krankenschwester betreut, eine Zeit lang bei einem Freund ihres Mannes. Die Krankheit seiner Frau stürzte Roth in eine tiefe Krise. Er war nicht bereit, die Unheilbarkeit der Krankheit zu akzeptieren, hoffte auf ein Wunder, gab sich die Schuld an der Erkrankung: Wahnsinn galt und gilt unter frommen Juden als Strafe Gottes. Eine mögliche Besessenheit durch einen Dibbuk veranlasste ihn zu der (erfolglosen) Konsultation eines chassidischen Wunderrabbis. Während dieser Zeit begann er heftig zu trinken. Auch seine finanzielle Situation verschlechterte sich. Als auch die Unterbringung bei Friedls Eltern keine Besserung brachte und die Kranke zunehmend in Apathie verfiel und die Nahrung verweigerte, brachte man sie am 23. September 1930 in das private Sanatorium in Rekawinkel bei Wien. Sie hatte ein Körpergewicht von nur noch 32 Kilogramm. Im Dezember 1933 kam sie in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt „Am Steinhof“ am Rand Wiens, schließlich im Juni 1935 in die Heil- und Pflegeanstalt Mauer-Öhling in Niederösterreich. Friedls Eltern wanderten 1935 nach Palästina aus. Roth beantragte die Scheidung von seiner entmündigten Frau. Am 3. Juli 1940 wurde Friedl Roth in die Tarnanstalt Niedernhart (heute Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg) bei Linz verlegt, eine sogenannte Zwischenanstalt im Rahmen der Aktion T4, von wo sie weiter in die NS-Tötungsanstalt Hartheim verbracht wurde. Friederike Reichler wurde dort in der Gaskammer getötet. Als ihr Todesdatum gilt der 15. Juli 1940. Die Krankheit seiner Frau blieb für Roth – auch während folgender Beziehungen – eine Quelle von Selbstvorwürfen und Bedrückung. 1929 lernte er Sybil Rares kennen, eine jüdische Schauspielerin aus der Bukowina, die am Frankfurter Schauspielhaus engagiert war, und nahm mit ihr ein kurzes Verhältnis auf. Im August 1929 begegnete er Andrea Manga Bell (1902–1985), Tochter der Hamburger Hugenottin Emma Mina Filter und des kubanischen Pianisten Jose Manuel Jimenez Berroa. Sie war verheiratet mit Alexandre Manga Bell, Prince de Douala et Bonanyo aus der ehemaligen deutschen Kolonie Kamerun, Sohn des 1914 von den Deutschen exekutierten Douala-Königs Rudolf Manga Bell, der sie jedoch verlassen hatte und nach Kamerun zurückgekehrt war. Als Roth sie kennenlernte, war sie Redakteurin bei der Ullstein-Zeitschrift Gebrauchsgraphik und ernährte so ihre zwei Kinder. Roth war von der selbstbewussten und selbstständigen Frau sofort fasziniert. Bald bezog man zusammen mit den Kindern eine gemeinsame Wohnung. Möglicherweise war Andrea Manga Bell das Vorbild für die Figur der Juliette Martens in Klaus Manns Schlüsselroman Mephisto.Als Roth emigrieren musste, folgte ihm Andrea Manga Bell mit ihren Kindern. Im Laufe der Zeit kam es zwischen den beiden zu Spannungen, für die Roth die durch die Versorgung der Familie Manga Bells entstehenden finanziellen Probleme verantwortlich machte („Ich muß einen Negerstamm von neun Personen ernähren!“). Andrea Manga Bell schreibt dagegen später über diese Zeit in einem Brief an Karl Retzlaw, sie habe von ihrem Bruder in Hamburg Geld aus ihrem Erbe erhalten. „Das Geld, das er mir mit Lebensgefahr über Holland hat zukommen lassen, hat Roth restlos versoffen. Daher enterbt. Ich habe von früh am Morgen für Roth gearbeitet, auf Spiritus gekocht, auch für seine Freunde, alle Korrespondenz und Manuskripte getippt bis nachts um 2 Uhr.“ Wahrscheinlichere Ursache für die Streitigkeiten und das endgültige Zerwürfnis Ende 1938 war Roths extreme Eifersucht. Anfang Juli 1936 war Roth auf Einladung Stefan Zweigs nach Ostende gereist, wo er der dort seit kurzem in der Emigration lebenden Schriftstellerin Irmgard Keun begegnete. Beide interessierten sich sofort füreinander. Irmgard Keun: Von 1936 bis 1938 lebten die beiden in Paris zusammen. Egon Erwin Kisch bescheinigte dem Paar einen Hang zum Alkoholexzess: „Die beiden saufen wie die Löcher“. Keun begleitete Roth auf seinen Reisen, unter anderem bei seinem Besuch in Lemberg zu Weihnachten 1936, wo er sie seiner alten Freundin Helene von Szajnoda-Schenk vorstellte. Auch diese Beziehung zerbrach schließlich. Nach Aussage Irmgard Keuns war wiederum Roths Eifersucht die Ursache: Am 30. Januar 1933, dem Tag von Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, verließ Roth Deutschland. In einem Brief an Stefan Zweig urteilte er: Roths Bücher wurden Opfer der Bücherverbrennungen durch die Nationalsozialisten. Roth wählte als Ort seines Exils zunächst Paris, unternahm aber diverse, teils mehrmonatige Reisen, unter anderem in die Niederlande, nach Österreich und nach Polen. Von Juni 1934 bis Juni 1935 hielt sich Roth, wie viele andere Emigranten, an der französischen Riviera auf. Zusammen mit Hermann Kesten und Heinrich Mann mieteten Roth und Manga Bell ein Haus in Nizza. Die Reise nach Polen erfolgte im Februar/März 1937; er hielt auf Einladung des polnischen PEN-Klubs eine Reihe von Vorträgen. Er unternahm bei dieser Gelegenheit einen Abstecher ins damals polnische Lemberg, um seine Verwandten zu besuchen, die später alle Opfer der Shoa wurden. Anders als vielen emigrierten Schriftstellern gelang es Roth, nicht nur produktiv zu bleiben, sondern auch Publikationsmöglichkeiten zu finden. Seine Werke erschienen in den niederländischen Exilverlagen Querido und de Lange sowie im christlichen Verlag De Gemeenschap. Unter anderem deshalb hielt er sich während seines Exils mehrfach in den Niederlanden und Belgien auf (Mai 1935 in Amsterdam und 1936 längere Aufenthalte in Amsterdam und Ostende). Darüber hinaus verfasste er Beiträge für die von Leopold Schwarzschild herausgegebene Exilzeitschrift Das neue Tage-Buch. In den letzten Jahren verschlechterte sich Roths finanzielle und gesundheitliche Situation rapide. Im November 1937 wurde sein Aufenthaltsort für zehn Jahre, das Hotel Foyot in der Pariser Rue de Tournon, wegen Baufälligkeit abgerissen. Er zog vis-a-vis in ein kleines Zimmer über seinem Stammcafe, dem Café Tournon. Am 23. Mai 1939 wurde Roth in das Armenspital Hôpital Necker eingeliefert, nachdem er (angeblich nach Erhalt der Nachricht vom Selbstmord Ernst Tollers) im Café Tournon zusammengebrochen war. Am 27. Mai starb er an einer doppelseitigen Lungenentzündung. Der letale Verlauf der Krankheit wurde durch den abrupten Alkoholentzug (Delirium tremens) begünstigt. Am 30. Mai 1939 wurde Roth auf dem zu Paris gehörenden Cimetière parisien de Thiais in Thiais, südlich der Hauptstadt, beerdigt. Die Beisetzung erfolgte nach „gedämpft-katholischem“ Ritus, da kein Beleg für die Taufe Roths erbracht werden konnte. Bei der Beerdigung kam es beinahe zu Zusammenstößen zwischen den sehr heterogenen Beteiligten der Trauergesellschaft: österreichische Legitimisten, Kommunisten und Juden reklamierten den Toten jeweils als einen der ihren. Das Grab liegt in der katholischen Sektion des Friedhofs („Division 7“). Die Inschrift auf dem Grabstein lautet: écrivain autrichien – mort à Paris en exil („österreichischer Schriftsteller – gestorben in Paris im Exil“).