Otfried Preußler
20. Oktober 1923 – 18. Februar 2013
Otfried Preußler (* 20. Oktober 1923 in Reichenberg/Liberec, Tschechoslowakei als Otfried Syrowatka; † 18. Februar 2013 in Prien am Chiemsee) war ein deutschsprachiger Schriftsteller. Sein Werk besteht aus 38 Kinder-, Jugend- und Bilderbüchern, die bekanntesten davon sind Der kleine Wassermann, Die kleine Hexe, Der Räuber Hotzenplotz, Das kleine Gespenst und Krabat. Insgesamt wurden Preußlers Bücher in 55 Sprachen übersetzt und haben eine Gesamtauflage von 50 Millionen Exemplaren erreicht. Für seine Verdienste erhielt Preußler zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen, darunter das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, den Bayerischen Maximiliansorden und eine Titularprofessur der Republik Österreich. Er gehörte zu den Gründern der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur. Erst seit Preußlers Tod wurde Näheres über seine Jugendjahre und seine ersten Publikationen bekannt.
Otfried Preußlers Eltern waren Lehrer. Seine Mutter war Ernestine Syrowatka, geborene Tscherwenka (Czervenka); sein Vater, Josef Syrowatka, der 1941 den Nachnamen der Familie – in Anlehnung an den Namen seiner Großmutter Agnes Praizler (1831–1891) – in Preußler änderte, war daneben auch Heimatforscher und Volkskundler. Viele seiner Erzählstoffe brachte Otfried Preußler aus der böhmischen Heimat mit. Einen großen Teil der Geschichten erfuhr er von seiner Großmutter väterlicherseits Dorothea Jireš (1869–1949), genannt „Großmutter Dora“, die besser Tschechisch als Deutsch sprach und viele Volkssagen kannte. Preußler bezeichnete das Geschichtenbuch seiner Großmutter als eines, das gar nicht existiert hatte und doch das wichtigste Buch seines Lebens gewesen sei. Auch sein Vater, mit dem er als kleiner Junge oft unterwegs war und der die Sagen des böhmischen Teils des Isergebirges zusammentrug, unterstützte Preußlers Neigung. Preußler besuchte die Allgemeine Deutsche Volksschule an der Schützenstraße (sog. „Rudolphschule“) und anschließend die Oberschule für Jungen in Reichenberg. Seine Lieblingsfächer waren Deutsch und alle Fremdsprachen. Den Unterricht in Tschechisch beschreibt er als „für die meisten von uns deutschen Kindern mit der schweren Hypothek belastet, dass wir es zwangsweise lernen mussten, da es ja seit dem Zerfall der Monarchie auch für die Sudetendeutschen zur Staatssprache erklärt worden ist und mit allen nur denkbaren negativen Reminiszensen belastet war (…) Im Rückblick muß ich sagen, daß ich von der Beschäftigung mit einer solch komplizierten Sprache für den späteren Erwerb aller anderen Fremdsprachen (…) viel profitiert habe.“ Sein Berufswunsch war, Professor für deutsche Landesgeschichte an der Karls-Universität in Prag zu werden. Nach seinem Abitur hat er sich an der Philosophischen Fakultät der Deutschen Karlsuniversität in Prag immatrikuliert. Er konnte sein Studium aber nicht antreten, da er zur Wehrmacht einberufen wurde.Die Jugendzeit Preußlers war geprägt von dem deutsch-tschechischen Nationalitätenkonflikt der 1930er Jahre im Sudetenland. Er war Mitglied in der Jungturnerschaft, in der neben der turnerischen Ertüchtigung eine politisch-weltanschauliche Bildung im Sinne einer völkischen Erziehung mit einer demonstrativen Betonung des deutschen Volkstums gepflegt wurde. Preußler selbst verortete sich in der Tradition der bündischen Jugend. Die Jungturnerschaft wurde im Zuge der Gleichschaltung in die Hitlerjugend überführt. Die Karriere Preußlers in der Hitlerjugend wird anhand der HJ-Beförderungslisten deutlich, so erfolgte im Deutschen Jungvolk die Beförderung zum Oberjungenschaftsführer am 15. November 1939, zum Jungzugführer am 20. April 1940 und zum Oberjungzugführer am 4. November 1940. Entlassen aus der Hitlerjugend wurde Preußler am 1. Oktober 1941 als Führer eines A(usbildungs)-Fähnleins. Preußler selbst gibt seine Mitgliedschaft in der NSDAP seit September 1941 an zwei Stellen an, dem Erfassungsbogen der Kriegsgefangenschaft und dem Antrag an die Reichsschrifttumskammer vom 9. September 1942.In der Tanzstunde lernte er seine spätere Frau Annelies Kind kennen, für die er ab 1940 Lyrik verfasste. Preußler war aber auch ein guter Zeichner – mit dieser Fertigkeit verdiente er sein erstes Geld, und lange Zeit war er sich unsicher, ob seine Zukunft im Malen oder im Schreiben läge. Unmittelbar nach seinem Abitur 1942, das er mit Auszeichnung bestand, wurde Preußler am 20. März 1942 zum Kriegsdienst im Zweiten Weltkrieg einberufen. Er selbst gibt an, sich freiwillig zur Wehrmacht gemeldet zu haben. „[…] ich hatte mich wie die meisten meiner Freunde freiwillig in den Krieg gemeldet, von dem wir ja damals glaubten, er sei ein gerechter Krieg […]“. Die Kriegsbegeisterung des jungen Mannes ist unübersehbar: „Ostern [1942, d.A.] werden wir vereidigt und ich hoffe nun bald ebenfalls hinaus ins Feld zu kommen. Heil Hitler.“Er überstand als Offiziersanwärter den Einsatz an mehreren Abschnitten der Ostfront. Mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse wurde er am 15. März 1943 ausgezeichnet. Zu diesem Zeitpunkt war er noch Gefreiter. Anfang Mai 1944 wurde er zum Leutnant der Reserve befördert. Im August 1944 war er als Kompanieführer mit der 294. Infanterie Division im 52. Armeekorps der 6. Armee in Bessarabien in der Nähe von Kischinew eingesetzt. Im sowjetischen Großangriff Operation Jassy-Kischinew wurden diese Truppenteile zusammen mit anderen Verbänden in einer Kesselschlacht umfasst und unter schweren Verlusten zur Aufgabe gezwungen. Die überlebenden deutschen Soldaten gerieten in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Er litt unter Typhus, Malaria und Fleckfieber und magerte bis auf 40 Kilogramm Körpergewicht ab. Die nächsten fünf Jahre verbrachte er als Kriegsgefangener in der Tatarischen Republik, zunächst im Kriegsgefangenenlager 97 in Jelabuga und ab Frühjahr 1945 im sog. Silikatlager (ein Lager in dem Silikatziegel hergestellt wurden) in Kasan. Bereits in der Kriegsgefangenschaft schrieb Preußler Gedichte und Theaterstücke, die er neben der Zwangsarbeit mit Kameraden auf der Lagerbühne aufführte. So entstand unter anderem das kriegskritische Theaterstück „Kang-Chen-Dzönga“, das sich mit elementaren Fragen von Führerprinzip und Verantwortung auseinandersetzt.Nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft im Juni 1949 fand er im oberbayerischen Rosenheim seine heimatvertriebenen Angehörigen und seine Verlobte Annelies Kind aus Reichenberg wieder. Noch im selben Jahr heirateten sie. Das Paar bekam drei Töchter. Preußler entschloss sich, Lehrer zu werden. Während seines Studiums verdiente er nebenbei Geld als Lokalreporter und als Geschichtenschreiber für den Kinderfunk. Vom 1. April 1953 bis 1955 leistete er den Vorbereitungsdienst als Lehramtsanwärter, danach war er bis 1970 zunächst als Volksschullehrer, dann als Rektor an der später nach ihm benannten Otfried-Preußler-Schule in Stephanskirchen tätig. Mitunter hatte er 52 Kinder zu beschäftigen. Hier kam sein erzählerisches und zeichnerisches Talent den Kindern zugute; nicht selten erzählte er seinen unruhigen Schülern Geschichten, die er später aufschrieb und veröffentlichte. Bereits in seiner frühen Jugend versuchte sich Otfried Preußler an Gedichten und kleinen Texten. Die ersten Publikationen Preußlers sind drei in Briefform geschriebene Texte mit dem Titel Lieber Soldat!, die 1940 in der Zeitschrift Kameraden. Sudetendeutsche Briefe an Wehr- und Werkmänner erschienen sind. Der 16-jährige Preußler berichtet darin von seiner Tätigkeit als Jungzugführer beim Deutschen Jungvolk. Der erste Text erzählt von einer Altpapiersammlung durch die von Preußler geführte Jungenschaft. Im zweiten Text berichtet Preußler über seine Arbeit im Rekrutierungsbüro der HJ und seine Ausbildung der 10-jährigen „Pimpfe“ des neuen Jahrganges, die er zu „Kerlen“ und „guten Soldaten“ erziehen will. Diese beiden Texte unterschreibt Preußler mit „Schorsch“. Der dritte Text erzählt von der mit seinen „26 Pimpfen“ durchgeführten Fahrt in den Harz im Sommer 1939 und vom Ernteeinsatz im Sudetenland im Spätsommer 1940. Diesen Text unterschreibt Preußler mit „Otfried Preußler“, wobei die Namensänderung erst im Dezember 1941 erfolgte. In der Weihnachtsausgabe 1941 von Die Zeit, der Zeitung der NSDAP für den Reichsgau Sudetenland, erschien ein Artikel von Robert Hohlbaum, der den „jungen sudetendeutschen Dichter“ Otfried Preußler vorstellte. Hohlbaum, ein Bekannter der Familie Preußler, hatte eine Auswahl von Otfried Preußlers Gedichten vorliegen und zitierte eines in voller Länge, ein Sonett mit dem Titel St. Veitsdom in Prag, und eines in Auszügen: Bauern-Breughel.Erst 2015, posthum, wurde durch den Literaturhistoriker Peter Becher und den Germanisten Murray G. Hall via ORF allgemein bekannt, dass Preußler schon im Winter 1940/41 das Buch Erntelager Geyer geschrieben hat, ein im böhmischen Wernersdorf spielendes Jugendbuch im Stil der HJ-Ideologie, das 1944 im Verlag Junge Generation, Berlin erschienen ist. Die Geschichte dreht sich um eine Gruppe Pimpfe des Deutschen Jungvolkes, die im Sudetenland zum Ernteeinsatz unter Ihrem HJ-Fähnleinführer auf Bauernhöfen eingesetzt werden. In der Sowjetischen Besatzungszone erschien der Roman nach Kriegsende wie alle Werke nationalsozialistischer Propaganda auf der Liste der auszusondernden Literatur und wurde bis auf wenige Exemplare im Bestand der Nationalbibliotheken vernichtet. Das Buch wurde allerdings im Standardwerk Handbuch Kinder- und Jugendliteratur 1933–1945 an mehreren Stellen als Beispiel für HJ-Jugendliteratur aufgeführt und auszugsweise besprochen. Auch im Standardwerk zur Geschichte der Hitlerjugend wird das Buch im Literaturverzeichnis aufgeführt. Preußler selbst hatte öffentlich keinen Hinweis darauf gegeben, nur in einem Schreiben an die Künstlergilde Esslingen benannte er das Buch in einem beigefügten Lebenslauf und Werkbericht. Hall vermutet, der Autor habe sich später für das Jugendwerk geniert. Die Germanistin Sandra Maruńska vermutet, er habe diesen Text auch später gar nicht für eine Fehlleistung gehalten. Der Literaturwissenschaftler und Biograf Carsten Gansel hält es hingegen für „wenig begründet“, dem Text des Achtzehnjährigen eine Propagierung der NS-Ideologie anzulasten. Er ordnet das „Begriffsnetz“ des Romans vielmehr der bündischen Jugend zu. Die Professorin für Germanistische Literaturdidaktik Petra Jostig hingegen stellt fest, dass im Erntelager Geyer eine Vielzahl von NS-Ideologemen verbreitet werden.Preußler hat 1971 seine Jugend im Nationalsozialismus in seinem Werk Krabat literarisch aufgearbeitet. Auch während seiner fünfjährigen sowjetischen Kriegsgefangenschaft schrieb Preußler Gedichte, Texte und Theaterstücke für die Lagerbühne. Zum Teil heitere Stücke, wie Mein geliebtes Porzellan, oder aufmunternde Gedichte für seine Mitgefangenen. Er setzte sich aber während der Gefangenschaft auch kritisch mit Fragen von Verantwortung, Macht und Gehorsam auseinander, zum Beispiel in seinem Theaterstück Kang-Chen-Dzönga, das eine gescheiterte Expedition zum Himalaya-Gipfel Kangchendzönga zum Inhalt hat.Anfangs arbeitete Preußler nur nebenberuflich als Schriftsteller. In den 1950er Jahren verfasste er Beiträge für den Kinderfunk und schrieb eine Reihe von Theaterstücken, meist für das Kinder- und Jugendlaienspiel gedacht. Einen anderen Charakter hat sein Bühnenstück Mensch Nr. 2301, das 1953 am Westfälischen Landestheater in Castrop-Rauxel aufgeführt wurde. Es spielt in einem nicht näher benannten Gefangenenlager und behandelt Fragen von Schuld und Verantwortung.1956 erschien Der kleine Wassermann. Dieses Buch schrieb er nach eigenem Bekunden „so zwischendurch“. Im Jahr darauf wurde das von Winnie Gebhardt-Gayler illustrierte Buch im Rahmen des Deutschen Jugendbuchpreises mit einer Prämie ausgezeichnet. Es machte ihn bei einem größeren Publikum bekannt. Zu seinen populärsten Kinderbüchern gehören neben diesem Buch Die kleine Hexe und Das kleine Gespenst (die so genannte „Der-Die-Das-Trilogie“) sowie Der Räuber Hotzenplotz. Preußler lebte zuletzt als freier Schriftsteller in Prien am Chiemsee, zuvor in Haidholzen bei Rosenheim. Seine Tochter Regine Stigloher war als Lektorin tätig und hat zusammen mit ihrem Vater drei Fortsetzungen des Kleinen Wassermanns (mit den Untertiteln Frühling im Mühlenweiher, Sommerfest im Mühlenweiher und Herbst im Mühlenweiher) veröffentlicht.Preußler unterstützte über Jahrzehnte den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Er tat dies „im Gedenken an all seine Kriegskameraden, die er in den Kämpfen und in seiner fünf Jahre dauernden sowjetischen Kriegsgefangenschaft hatte sterben“ sehen. 1992 rief Otfried Preußler, zusammen mit anderen, das Hilfswerk für die Orthopädische Kinderklinik in Aschau ins Leben. Die Vereinigung hat zum Ziel, Kinder mit körperlichen, geistigen oder multiplen Einschränkungen im Klinikleben zu unterstützen. Ab 1993 trat er auch als Vorsitzender des Hilfswerk öffentlich in Erscheinung.