Georges Didi-Huberman ist ein Philosoph und Kunsthistoriker, dessen Werk sich mit der Geschichte und Theorie von Bildern befasst. Er untersucht, wie Bilder entstehen, wie sie überdauern und wie sie unsere Wahrnehmung der Realität prägen. Sein Ansatz ist tiefgründig analytisch und erforscht oft die verborgenen Bedeutungen visueller Werke. Didi-Hubermans umfangreiche Schriften bieten den Lesern eine neue Perspektive auf Kunst und ihre Rolle in der Gesellschaft.
„Wo Es war.“ In einem berühmten Satz, der so beginnt, bezeichnete Freud mit dem Wort „Es“ die tiefste Instanz unseres Unbewussten. Hier soll das Wort „Es“ einen sehr schwerwiegenden und also sehr tiefen Moment unserer Geschichte bezeichnen – die Shoah. In den vier Briefen an den Maler, der die Konfrontation mit diesem Moment sucht, würde man gerne schlicht sagen können: „Wo Es war, soll Malerei werden.“ (Georges Didi-Huberman)
Verallgemeinernde und zeitlose Diskurse zur Ethik der Bilder sind nutzlos, wenn sie zu der Vorstellung führen, daß nach einem absoluten Kriterium 'alles gesehen' und 'alles erwogen' worden ist.'0Wie überlebt man das Überleben? Georges Didi-Hubermans Essays umkreisen die Orte der Shoah und rühren an das Trauma der Moderne. Sie schreiten die Grenzen des Sag- und Vorstellbaren ab und fragen nach den Möglichkeiten der Erinnerung. Wo die wissenschaftlich-analytische Aufbereitung der Fakten Gefahr läuft, das Erleben der Opfer und die Ereignisse selbst zum Verschwinden zu bringen, formt der Künstler Zeit-Räume, die zuvor undenkbar und unmöglich waren.0Einer Musealisierung der Orte der Shoah stellt Sehen versuchen am Beispiel von Imre Kertész, Claude Lanzmann und Miroslaw Balka die literarische und ästhetische Überlieferung entgegen, deren lebendiges Gedächtnis eine hartnäckige Zumutung bleibt.
Wie kann man sehen, ohne das Sichtbare dem Glauben zu opfern? Und wie können wir umgekehrt der Versuchung widerstehen, das Sichtbare tautologisch auf sich selbst zu reduzieren? Zwischen zwei – Joyce und Kafka entliehenen – Parabeln soll vor dem einfachsten Bild, das eine Skulptur uns bieten kann, nach einer Antwort auf diese Fragen gesucht werden. Ein Kubus, ein großer schwarzer Kubus des Bildhauers Tony Smith, wird uns dabei Stück für Stück seine dunkle Faszinationskraft, seine Intensität und Unheimlichkeit enthüllen. Damit dies gelingt, wird es zuvor nötig sein, über Benjamins Begriffe 'Aura' und 'dialektisches Bild' nachzudenken und sich mit ihrer Hilfe klarzumachen, warum das, was wir vor uns sehen, stets in uns widerhallt, uns anblickt und betrifft. Das Ziel dieser Überlegungen: eine Anthropologie der Form, eine Metapsychologie des Bildes.
Die Nymphen sind Inbegriff der rätselhaft-erotischen Randfigur in der Kunst: weibliche Gestalten in steter, leichtfüßig tanzender Bewegung, gehüllt in durchsichtige Schleiergewänder. Das Wechselspiel zwischen Faltenwurf und Oberfläche, Nacktheit und Bekleidung, Bewegung und Innehalten macht sie zu Verkörperungen des Begehrens, der Erinnerung, der Zeit selbst. Was aber wäre die Nymphe der Moderne? Auf den Spuren Aby Warburgs verfolgt Didi-Huberman die allmähliche Wandlung der Nymphe von der Renaissance zum Barock, über Brassai, Moholy-Nagy, Picasso bis in ihre zeitgenössischen Ausformungen: den in Fetzen gehüllten Elendgestalten unserer großen Städte – traurige Reste und zugleich letzte, stolze Inkarnation der antiken Gestalt, in der die Nymphe aus den Faltungen ihres eigenen Zerfalls aufsteigt: Aus dem Fall des Schleiers löst sich die Nacktheit heraus – und aus dem herabgleitenden Schleier werden achtlos fallengelassene und liegengebliebene Hüllen, ja Lumpen. Übrig bleibt – der Faltenwurf selbst... Ein gewichtiger Beitrag zur Debatte um den oszillierenden ikonographischen Status des Bildes, aus der die Stimme des französischen Philosophen und Kunsthistorikers unverkennbar herausragt.
Was sehen wir, wenn wir in einem Museum oder in einer Kirche ein Gemälde betrachten? So einfach ist diese Frage nicht zu beantworten. Denn was wir sehen, hängt immer auch davon ab, was wir wissen. Die Kategorien und Begriffe, die uns die Kunstgeschichte liefert, schieben sich unbemerkt zwischen unser Auge und das Bild. Didi-Huberman beschreibt, wie sich die Wahrnehmung der Kunst verändert, wenn es gelingt, das Wissen vom Sehen zu lösen: Es öffnet sich der Blick auf eine radikal offene Kunst.
Vom Gang des Volkes Israel durch die Wüste über die Kirchen des Mittelalters in Italien, Frankreich und England bis hin zur Gegenwartskunst eines James Turrell verfolgt Georges Didi-Huberman seine Titelgestalt eines gehenden Menschen, der sich im absolut verlassenen Raum der reinen Farbe und nichts sonst gegenüber sieht. Das Motiv des Abwesenden durchzieht den gesamten Text, so etwa das Bilderverbot und das Sich-Entziehen Gottes während des Exodus, oder die Unähnlichkeit als zentrales Moment der mittelalterlichen Kunst, in der Licht und Farbe die Kirchen durchfluten. In seinen Lichtinstallationen, die nicht selten abgeschlossene Kammern sind, verleiht James Turrell dem vermeintlich Immateriellen — dem Zwischenraum, dem Lichtstrahl, dem Himmel, der Finsternis, der reinen Farbe — Masse und Dichtigkeit. Er schafft Farbräume, in denen nicht viel Platz zum Gehen ist. Und wenn die Betrachtung eines Kunstwerks einem Gehen durch die Wüste vergleichbar wäre?
Wer Denken sagt, meint Gehirn – aber damit zugleich auch Schädel. Doch ist es, als wäre das Gehirn von einer konstitutiven Blindheit geschlagen, die es daran hindert, zu erkennen oder auch zu spüren, dass es sich im Kontakt mit einer Wand befindet: jener des Schädels. Georges Didi-Huberman zeigt, wie das »Zauberkästchen« des Schädels, jene »knöcherne Schatulle« und die darin verborgenen Geheimnisse eine lange Traditionsreihe von Künstlern fasziniert – von Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer bis hin zu Giuseppe Penone, dem italienischen Bildhauer und prominenten Vertreter der Arte Povera. Immer wieder kreist Penone um jenen unbekannten taktilen Raum, jene sich der Wahrnehmung entziehende Kontaktzone von Gehirn und Schädel, die er zum Gegenstand seiner topographischen Entwürfe macht. Georges Didi-Huberman nimmt Penones »Landschaften des Gehirns« zum Ausgangspunkt eines ebenso instruktiven wie persönlichen Essays. Die Frage nach der Skulptur als plastischem Gegenstand und Objekt des Denkens entfaltet der renommierte Kunsthistoriker zu einer umfassenden Reflexion über das Verhältnis von Kunst und philosophischem Denken.
Im August 1944 gelang zwei Häftlingen des Konzentrationslagers Auschwitz eine Serie fotografischer Aufnahmen der Exekutionen. Während einer der beiden Häftlinge die Wachmänner der SS im Auge behielt, machte ein Mitgefangener vier Aufnahmen, die das Gelände um das Krematorium V zeigen. Georges Didi-Huberman widmet sich in seinem neuen Buch der Paradoxie dieser Bilder: Dass sie so gut wie nichts zu sehen geben, aber gleichwohl unersetzliche Überreste sind.
Botticelli gilt – etwa mit seinem Gemälde »Geburt der Venus« – als Schöpfer und Beleber des antikisierenden Ideals von klassischer Nacktheit und Schönheit in der Kunst. Didi-Huberman stellt dieser Tradition, ebenfalls im Ausgang von einem Botticelli-Gemälde, ein gegenläufiges Motiv zur Seite: das gewaltsame »Öffnen«, das Aufschneiden eines nackten Frauenkörpers. Illustriert wird eine Traumepisode bei Bocaccio, in der jemand die Frau, die er begehrt, auf grausamste Weise zu Tode hetzt, aufschlitzt und die Eingeweide den Hunden vorwirft. Botticelli als Begründer nicht nur des Ideals reiner Schönheit, sondern auch eines perversen und grausamen Bildes der Nacktheit, bedrohlich und bedroht zugleich? Botticelli neu gedacht mit Freud, Bataille und de Sade? Neben Botticelli ist es die eigenartige Darstellungstradition der »Venus der Medizin« – jenen anatomischen Wachsmodellen des 18. Jahrhunderts –, an denen Didi-Huberman sein Thema entfaltet: die Verflechtung von Nacktheit und Gewalt, von Schönheit und Krankheit. Ein brillanter Essay über die Darstellung weiblicher Nacktheit und deren Erotik in der Kunst – und ein faszinierender Blick auf ihre düstere Ambivalenz.