Georges Didi-Huberman ist ein Philosoph und Kunsthistoriker, dessen Werk sich mit der Geschichte und Theorie von Bildern befasst. Er untersucht, wie Bilder entstehen, wie sie überdauern und wie sie unsere Wahrnehmung der Realität prägen. Sein Ansatz ist tiefgründig analytisch und erforscht oft die verborgenen Bedeutungen visueller Werke. Didi-Hubermans umfangreiche Schriften bieten den Lesern eine neue Perspektive auf Kunst und ihre Rolle in der Gesellschaft.
„Wo Es war.“ In einem berühmten Satz, der so beginnt, bezeichnete Freud mit dem Wort „Es“ die tiefste Instanz unseres Unbewussten. Hier soll das Wort „Es“ einen sehr schwerwiegenden und also sehr tiefen Moment unserer Geschichte bezeichnen – die Shoah. In den vier Briefen an den Maler, der die Konfrontation mit diesem Moment sucht, würde man gerne schlicht sagen können: „Wo Es war, soll Malerei werden.“ (Georges Didi-Huberman)
Wie kann man sehen, ohne das Sichtbare dem Glauben zu opfern? Und wie können wir umgekehrt der Versuchung widerstehen, das Sichtbare tautologisch auf sich selbst zu reduzieren? Zwischen zwei – Joyce und Kafka entliehenen – Parabeln soll vor dem einfachsten Bild, das eine Skulptur uns bieten kann, nach einer Antwort auf diese Fragen gesucht werden. Ein Kubus, ein großer schwarzer Kubus des Bildhauers Tony Smith, wird uns dabei Stück für Stück seine dunkle Faszinationskraft, seine Intensität und Unheimlichkeit enthüllen. Damit dies gelingt, wird es zuvor nötig sein, über Benjamins Begriffe 'Aura' und 'dialektisches Bild' nachzudenken und sich mit ihrer Hilfe klarzumachen, warum das, was wir vor uns sehen, stets in uns widerhallt, uns anblickt und betrifft. Das Ziel dieser Überlegungen: eine Anthropologie der Form, eine Metapsychologie des Bildes.
Die Nymphen sind Inbegriff der rätselhaft-erotischen Randfigur in der Kunst: weibliche Gestalten in steter, leichtfüßig tanzender Bewegung, gehüllt in durchsichtige Schleiergewänder. Das Wechselspiel zwischen Faltenwurf und Oberfläche, Nacktheit und Bekleidung, Bewegung und Innehalten macht sie zu Verkörperungen des Begehrens, der Erinnerung, der Zeit selbst. Was aber wäre die Nymphe der Moderne? Auf den Spuren Aby Warburgs verfolgt Didi-Huberman die allmähliche Wandlung der Nymphe von der Renaissance zum Barock, über Brassai, Moholy-Nagy, Picasso bis in ihre zeitgenössischen Ausformungen: den in Fetzen gehüllten Elendgestalten unserer großen Städte – traurige Reste und zugleich letzte, stolze Inkarnation der antiken Gestalt, in der die Nymphe aus den Faltungen ihres eigenen Zerfalls aufsteigt: Aus dem Fall des Schleiers löst sich die Nacktheit heraus – und aus dem herabgleitenden Schleier werden achtlos fallengelassene und liegengebliebene Hüllen, ja Lumpen. Übrig bleibt – der Faltenwurf selbst... Ein gewichtiger Beitrag zur Debatte um den oszillierenden ikonographischen Status des Bildes, aus der die Stimme des französischen Philosophen und Kunsthistorikers unverkennbar herausragt.
Vom Gang des Volkes Israel durch die Wüste über die Kirchen des Mittelalters in Italien, Frankreich und England bis hin zur Gegenwartskunst eines James Turrell verfolgt Georges Didi-Huberman seine Titelgestalt eines gehenden Menschen, der sich im absolut verlassenen Raum der reinen Farbe und nichts sonst gegenüber sieht. Das Motiv des Abwesenden durchzieht den gesamten Text, so etwa das Bilderverbot und das Sich-Entziehen Gottes während des Exodus, oder die Unähnlichkeit als zentrales Moment der mittelalterlichen Kunst, in der Licht und Farbe die Kirchen durchfluten. In seinen Lichtinstallationen, die nicht selten abgeschlossene Kammern sind, verleiht James Turrell dem vermeintlich Immateriellen — dem Zwischenraum, dem Lichtstrahl, dem Himmel, der Finsternis, der reinen Farbe — Masse und Dichtigkeit. Er schafft Farbräume, in denen nicht viel Platz zum Gehen ist. Und wenn die Betrachtung eines Kunstwerks einem Gehen durch die Wüste vergleichbar wäre?
Im August 1944 gelang zwei Häftlingen des Konzentrationslagers Auschwitz eine Serie fotografischer Aufnahmen der Exekutionen. Während einer der beiden Häftlinge die Wachmänner der SS im Auge behielt, machte ein Mitgefangener vier Aufnahmen, die das Gelände um das Krematorium V zeigen. Georges Didi-Huberman widmet sich in seinem neuen Buch der Paradoxie dieser Bilder: Dass sie so gut wie nichts zu sehen geben, aber gleichwohl unersetzliche Überreste sind.
Botticelli gilt – etwa mit seinem Gemälde »Geburt der Venus« – als Schöpfer und Beleber des antikisierenden Ideals von klassischer Nacktheit und Schönheit in der Kunst. Didi-Huberman stellt dieser Tradition, ebenfalls im Ausgang von einem Botticelli-Gemälde, ein gegenläufiges Motiv zur Seite: das gewaltsame »Öffnen«, das Aufschneiden eines nackten Frauenkörpers. Illustriert wird eine Traumepisode bei Bocaccio, in der jemand die Frau, die er begehrt, auf grausamste Weise zu Tode hetzt, aufschlitzt und die Eingeweide den Hunden vorwirft. Botticelli als Begründer nicht nur des Ideals reiner Schönheit, sondern auch eines perversen und grausamen Bildes der Nacktheit, bedrohlich und bedroht zugleich? Botticelli neu gedacht mit Freud, Bataille und de Sade? Neben Botticelli ist es die eigenartige Darstellungstradition der »Venus der Medizin« – jenen anatomischen Wachsmodellen des 18. Jahrhunderts –, an denen Didi-Huberman sein Thema entfaltet: die Verflechtung von Nacktheit und Gewalt, von Schönheit und Krankheit. Ein brillanter Essay über die Darstellung weiblicher Nacktheit und deren Erotik in der Kunst – und ein faszinierender Blick auf ihre düstere Ambivalenz.
Einfühlsamkeit und emotionale Teilhabe sind zentrale Themen in Victor Klemperers Tagebuch, das während der nationalsozialistischen Unterdrückung in Dresden entstand. Klemperer, ein Jude und Philologe, analysiert die totalitäre Funktionsweise von Sprache und dokumentiert die komplexen Affekte seiner Zeit. Georges Didi-Huberman interpretiert diese Aufzeichnungen als einen politischen Kampf, der die Konfrontation zwischen totalitärer Sprache und menschlicher Empathie verdeutlicht. Das Tagebuch bietet nicht nur eine präzise historische Analyse, sondern auch eine tiefgehende Reflexion über die ethische Dimension des Teilens von Erfahrungen.
In diesem Essay über Brecht und die Montage, der aus anderer Perspektive Bilder trotz allem fortsetzt, untersucht Didi-Huberman die konkreten Verfahren und theoretischen Entscheidungen, die Bertolt Brechts Nachdenken über den Krieg zugrunde liegen.Der Dichter, der lange im Exil leben musste, möchte eine Geschichte begreifen, deren Schrecken er, wenigstens bis zu einem gewissen Grad, selbst erlebt hat. In seinem Arbeitsjournal wie auch in seiner Kriegsfibel hat Brecht eine große Anzahl von visuellen Dokumenten oder Bildreportagen neu montiert und kommentiert, die Bezug auf den Zweiten Weltkrieg nehmen.Didi-Huberman zeigt, wie diese Erkenntnis durch Montagen eine Alternative zum historischen Standardwissen bildet, und dank ihrer poetischen Komposition viele Motive, Symptome und Querverbindungen freilegt, die sonst unbemerkt geblieben wären. In Brechts Montagen verbindet sich so auf exemplarische Weise das politische Engagement mit der ästhetischen Dimension.Abschließend beobachten wir, wie Walter Benjamin, der zu seiner Zeit der beste Kommentator Brechts gewesen ist, subtil die Parteinahmen des mit ihm befreundeten Dramaturgen verschiebt, um uns zu lehren, wie aus Bildern Stellungnahmen gemacht werden können, das heiß wie Bilder Position beziehen.