Thomas Bernhard
9. Februar 1931 – 12. Februar 1989
Auch bekannt als: Thomas Fabian
Nicolaas Thomas Bernhard (* 9. Februar 1931 in Heerlen, Niederlande; † 12. Februar 1989 in Gmunden, Oberösterreich) war ein österreichischer Schriftsteller. 1970 erhielt er den Georg-Büchner-Preis; seit den 1980er-Jahren wird er international zu den bedeutendsten österreichischen und deutschsprachigen Autoren gerechnet.
Thomas Bernhard wurde als nichteheliches Kind in Heerlen (Niederlande) geboren, wo seine Mutter Herta Bernhard (1904–1950) als Haushaltshilfe arbeitete. Sie war die Tochter Anna Bernhards und des Salzburger Schriftstellers Johannes Freumbichler. Thomas Bernhards Vater war der aus Henndorf am Wallersee stammende Bauernsohn und Tischler Alois Zuckerstätter (1905–1940), den Herta Bernhard aus der Volksschule kannte. Zuckerstätter heiratete am 25. Mai 1938 in Berlin die in Frankfurt an der Oder geborene Hedwig Herzog. Dieser Ehe entstammte die Tochter Hilda, die ihren Halbbruder überlebte und erst zwei Wochen nach dessen Tod von seiner Existenz erfuhr. Thomas Bernhard lernte seinen Vater nie kennen. Zuckerstätter wurde, obwohl er die Vaterschaft bestritt, 1939 vom Amtsgericht Berlin-Mitte als Vater festgestellt; er weigerte sich, Alimente zu zahlen. Seine Ehe mit Hedwig Herzog wurde am 13. März 1940 geschieden.Über den Tod seines leiblichen Vaters, der am 2. November 1940 in Berlin durch eine Gasvergiftung starb, wobei man Suizid vermutete, erfuhr Bernhard nichts Genaues: Er vermutete, dass sein Vater mit 43 Jahren in Frankfurt an der Oder umgekommen sei und erzählte, er habe in der Familie den Vornamen Alois nie aussprechen dürfen. Seine Mutter litt unter der äußerlichen Ähnlichkeit des Kindes mit seinem Vater. Bis Herbst 1931 verblieb Thomas auf einem Fischkutter bei Rotterdam. Im September schickte ihn seine Mutter zu ihren Eltern; er lebte dann in der Wernhardtstraße 6 im 16. Bezirk (Ottakring) von Wien. Die schlechte finanzielle Situation veranlasste seine Großeltern 1935, gemeinsam mit dem damals 4-jährigen Thomas von Wien nach Seekirchen am Wallersee, ganz in die Nähe des Geburtsortes von Großvater und Vater, Henndorf, zu ziehen. Die Zeit dort beschrieb Bernhard im Rückblick als die glücklichste seines Lebens. Seine Mutter heiratete 1936 in Seekirchen den Wiener Friseurgesellen Emil Fabjan; mit ihm und ihrem Sohn übersiedelte sie 1937 nach Traunstein in Oberbayern, wenige Kilometer jenseits der Salzburger Grenze. Am 15. April 1938 wurde Thomas Bernhards Halbbruder Peter Fabjan, am 12. Juni 1940 seine Halbschwester Susanne Fabjan geboren. 1943 wurde Bernhard in ein nationalsozialistisches Erziehungsheim in Saalfeld geschickt. Man hatte in der Familie das von einer Sozialbetreuerin empfohlene salzburgische Saalfelden, wo er sich erholen sollte, mit dem thüringischen Saalfeld verwechselt. Die in Saalfeld gemachten traumatischen Erfahrungen flossen in Bernhards autobiografische Erzählungen ein. Seit April 1944 war er im NS-Internat „Johanneum“ in Salzburg untergebracht. Hier ermöglichte ihm sein Großvater Violinunterricht bei Georg Steiner, einem Mitglied des Mozarteum-Quartetts. Nach schweren Bombenangriffen kehrte Bernhard nach Traunstein zurück. Erst nach Kriegsende besuchte er wieder das mittlerweile wie vor 1938 katholische „Johanneum“. Am 2. August 1945 vermerkt Johannes Freumbichler in einem Notizbuch einen Suizidversuch seines Enkels Thomas Bernhard; am 2. Mai 1948 folgt ein weiterer. 1946 übersiedelte die ganze Familie in den Salzburger Stadtteil Aiglhof in die Radetzkystraße 47. Der Großvater setzte sich nachhaltig für eine künstlerische Ausbildung Bernhards ein. 1946 endete seine Schullaufbahn im Salzburger Akademischen Gymnasium; Bernhard brach die Schule ab und absolvierte von 1947 an eine Lehre als Einzelhandelskaufmann in dem Kolonialwarenladen von Karl Podlaha in der Salzburger Scherzhauserfeldsiedlung, einer Armensiedlung. Heute ist der Gang, an dem der Laden in einem Keller lag, nach Thomas Bernhard benannt. Er schilderte diese Zeit in seinem autobiografischen Text Der Keller (1976). Er ging damals, wie er schrieb, „in die entgegengesetzte Richtung“. In seinen autobiografischen Erzählungen bezeichnete er später die Institution Schule als „Geistesvernichtungsanstalt“. Im Jänner 1949 bekam Thomas Bernhard eine tuberkulöse, nasse Rippenfellentzündung, die ihn beinahe das Leben kostete. Der geliebte Großvater lag zur selben Zeit im St.-Johanns-Spital und starb im Februar an akutem Nierenversagen. Die Mutter starb am 13. Oktober 1950 an Gebärmutterkrebs. Prägend für Bernhards Entwicklung als Schriftsteller war die Zeit, die er in frühester Kindheit bei seinem Großvater Johannes Freumbichler verbracht hatte, dazu das Gefühl, von seiner Mutter alleingelassen, ungeliebt, unerwünscht zu sein, vom Vater verleugnet. Dazu kam ein schweres Lungenleiden und später das „Boeck-Besnier-Schaumann-Syndrom“ (Morbus Boeck), in dessen Verlauf es zu einer dilatativen Kardiomyopathie, einer „Herzerweiterung“, kam. In einem Filmgespräch an drei Tagen mit Ferry Radax, einem seiner selten gewährten Interviews, erläuterte Bernhard 1970 den Einfluss seines persönlichen Lebenshintergrundes auf sein Werk.Es gab in seinem Leben, wie er sagte, zwei für ihn „existenzentscheidende“ Menschen: seinen Großvater, der ihm den Sinn für die Philosophie, für das „Höchste, Allerhöchste“ mitgegeben und der ihm Montaigne, Schopenhauer und Pascal nähergebracht hatte, und seinen „Lebensmenschen“ Hedwig Stavianicek, geb. Hofbauer (1894–1984). Mit ihr verband ihn bis zu ihrem Tod eine innige Beziehung und Freundschaft. Hedwig Stavianicek aus großbürgerlicher Herkunft war in zweiter Ehe von 1933 bis zu dessen Tod 1944 mit dem klassisch gebildeten Ministerialrat Franz Stavianicek verheiratet. 1950 hatte die um 37 Jahre ältere Frau Bernhard während seines Aufenthalts in der Lungenheilstätte Grafenhof in St. Veit im Pongau in der dortigen Kirche singen hören und drei Jahre später auch persönlich kennengelernt, ab 1954 ist der briefliche Kontakt gesichert. Ab 1955 folgten auch gemeinsame Reisen. Die „Tante“ wurde für Bernhard zunächst zur Förderin und führte ihn in die Wiener Gesellschaft ein. Ab 1965 besuchte sie ihn häufig für einige Wochen auf seinem Bauernhof in Obernathal bei Ohlsdorf (Oberösterreich). Bereits selbst erkrankt und äußerst geschwächt, pflegt er die mittlerweile bettlägerige Freundin in ihrer Wohnung über Wochen bis zu ihrem Tod, den er in dem Roman Alte Meister. Eine Komödie als den Tod der Frau des Protagonisten verarbeitete. 1950 veröffentlichte Bernhard unter dem Pseudonym Thomas Fabian die Kurzgeschichte Das rote Licht – damit begann seine lebenslange schriftstellerische Tätigkeit. Der Tod und die Relativierung aller anderen Werte angesichts der steten Bedrohung durch ihn wurden in seinen Werken zu einem der wichtigsten Motive. Seine Romane, die autobiografischen Erzählungen und ein Gedichtband tragen Titel wie In hora mortis, Frost, Die Kälte, Verstörung und Auslöschung. Während der 1950er Jahre arbeitete Bernhard als Journalist, u. a. von 1952 bis 1955 als freier Mitarbeiter bei der sozialistischen Tageszeitung Demokratisches Volksblatt, und war gleichzeitig als freier Schriftsteller tätig. Im Salzburger Mozarteum nahm er Unterricht in Schauspielkunst und Dramaturgie und in Musiktheorie bei Theodor W. Werner. Ende 1954 trat Bernhard auf Anregung des Chefredakteurs des Demokratischen Volksblatts Josef Kaut der SPÖ bei, bereute dies jedoch schon am nächsten Tag und sandte das Parteibuch zurück. Anschließend beendete er auch die Arbeit für das Volksblatt.Am 9. November 1954 hielt Bernhard in Salzburg einen Vortrag, dessen bis dahin unbekanntes Manuskript im Jahr 2009 vom Cheflektor des Suhrkamp Verlags entdeckt wurde. Im Vortrag drückte Bernhard seine Bewunderung für Arthur Rimbaud aus; er schrieb, Rimbaud sei „keusch und tierhaft zugleich“ gewesen. Dies ist die früheste bekannte Äußerung Bernhards zu seinem Selbstverständnis als Autor sowie zum staatlichen Kulturbetrieb; er verhöhnt darin einen „Herrn vom Kulturamt“, der sich bei Dichterlesungen wichtigtuerisch vor den Autor schiebt.1957 trat Thomas Bernhard mit dem Gedichtband Auf der Erde und in der Hölle als Lyriker auf. Auf dem Tonhof des Komponisten Gerhard Lampersberg in Maria Saal kam Bernhard zwischen 1957 und 1959 (nach Oliver Bentz bis Sommer 1960) in Kontakt mit Schriftstellerkollegen wie H. C. Artmann, Christine Lavant, dem jungen Peter Turrini und Wolfgang Bauer zusammen. Lampersberg und seine Frau hegten ihm gegenüber später ambivalente Gefühle, die sich anlässlich der Veröffentlichung von Holzfällen zu einer offenen Feindschaft entwickelten. 1984 erwirkte Lampersberg, den Roman seines ehemaligen „Schützlings“ gerichtlich zu beschlagnahmen, da er sich in der Figur des Auersberger wiedererkannte. Seit 1953 bestand eine enge Freundschaft mit dem Kunsthistoriker und Schriftsteller Wieland Schmied sowie mit dem Maler Hundertwasser. Das Preisgeld des Bremer Literaturpreises, den er 1965 für seinen Roman Frost erhalten hatte, ermöglichte ihm im selben Jahr über den Realitätenhändler (= Immobilienmakler) Ignatz Hennetmair die Anzahlung zum Kauf des 700 Jahre alten Vierkanthofes in Obernathal. Bernhard beschrieb diesen Vorgang eingehend in seinem postum erschienenen Band Meine Preise sowie in Andeutungen im Roman Ja. Von 1965 an lebte Bernhard dort, wenn er nicht in Wien oder auf Reisen war. Auf dem Altenteil mit Wohnrecht lebte dort auch die Altbäuerin Anna Reisenberger, die „schicksalhaft für sein weiteres Leben und Schreiben“ wurde.Weitere erworbene Liegenschaften waren die „Krucka“, „ein kleines Almhaus am Grasberg bei Altmünster“ sowie ein Wohnhaus in Ottnang, „fern vom nächsten Ort am Waldrand gelegen“Von 1974 bis 1987 war Bernhard Mitglied des Österreichischen Bauernbundes, einer Teilorganisation der konservativen ÖVP. Dies wurde erst nach seinem Tod öffentlich bekannt. Bernhard liebte es, neben der Schreibarbeit ausgedehnte Spaziergänge zu unternehmen. Bernhards Leidenschaft für Kaffeehäuser führte ihn in Wien in das Café Bräunerhof, das sein Stammcafé wurde. Auch in Gmunden und Salzburg suchte er häufig Cafés auf, die ihm zur „zweiten Wohnstube“ wurden. Ende November 1988 erlitt Bernhard eine Lungeninfektion. Sein Halbbruder Peter Fabjan, in Gmunden niedergelassener Facharzt für Innere Medizin, betreute ihn auf seinen ausdrücklichen Wunsch zu diesem Zeitpunkt bereits rund zehn Jahre. Am 12. Februar 1989 starb Thomas Bernhard in seiner Gmundner Wohnung an Herzversagen. Am 16. Februar wurde er im Grab seines „Lebensmenschen“ Hedwig Stavianicek auf dem Grinzinger Friedhof in Wien beerdigt, wunschgemäß nur in Anwesenheit seines Halbbruders Peter Fabjan, der Halbschwester Susanna Kuhn, geb. Fabjan, und des Stiefvaters Emil Fabjan. Die Nachricht von seinem Tod sollte der Öffentlichkeit erst nach der Beerdigung bekanntgegeben werden, was nicht ganz gelang. Sein Grabstein ist mehrfach beschädigt und die Grabtafel gestohlen worden.