Lust und Narzißmus
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Die Narzissmus-Theoretiker führten schwerwiegende narzisstische Störungen auf das Fehlen verlässlicher Zuwendung in der frühen kindlichen Entwicklung zurück. Im Hintergrund dieses Defizit-Modells steht ein Gespenst: die kalte, ihrerseits ungeliebte Mutter. Das Etikett der »Frühstörung« war gefunden. Unfähig zu Liebe, Lusterleben und Bindung, gerieten Narzissten zum Gegenpol eines gern stilisierten Menschenbildes. Merkwürdig ist dabei ihre Funktion als Kristallisationspunkt der Lieblosigkeit: Nicht nur sind sie Empfänger und Opfer von Gefühlskälte, sie senden sie auch aus – und sie rufen sie hervor. Selbst der menschenfreundlichste Psychotherapeut darf aussprechen, dass er Narzissten einfach nicht mag. Das hat einschneidende Folgen für die Einschätzung der Therapierbarkeit narzisstischer Störungen. Und es ist ein Offenbarungseid in einer Gesellschaft, die als zunehmend narzisstisch bezeichnet wird. Siegfried Zepf kippt in diesem Buch das gängige Narzissmus-Konzept von den Füßen auf die Seite und gibt damit einen Blick frei auf die Dynamik einer Entwicklungskomponente, die mit (abwehrenden) Klinifizierungen nicht zu begreifen ist. Er macht deutlich, dass die »Frühstörung« nicht einem sozusagen biologisch abgescannten Defizit entspringt, sondern eine Sehnsucht ist nach etwas real Verlorenem. Nicht das Gelobte Land, das biologisch Verheißene, bereitet, wo es ausbleibt, die nachhaltige Störung; es ist der erlebte Verlust, der im weiteren Leben bewältigt werden muss. Zepfs Sicht auf diese Färbung menschlichen Welterlebens eröffnet ein neues Verständnis von den Erfahrungen der frühen Kindheit, von der Objektbeziehung reifer Menschen und von der Aufgabe der Psychoanalyse in einem Horizont später, bleibender Charakterstrukturen.