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Die Elternparanoia

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Ich bin mir nicht sicher, ob ich dieses Buch mehr als Soziologe, der zufällig Vater eines fünfjährigen Sohnes ist, geschrieben habe oder als Vater eines fünfjährigen Kindes, der sich auf soziologischer Ebene brennend für die Beziehungen zwischen den Generationen interessiert. Meine akademische Ausbildung hat mich keineswegs auf die sonderbare Welt der elterlichen Ängste vorbereitet, die so viele Väter und Mütter zu plagen scheinen. Schon bei der Geburt meines Sohnes Jacob vor gut fünf Jahren dämmerte mir, dass das Leben gefährlich ist und von Anfang an erhebliche Risiken bereit hält. Der Alarm ging praktisch sofort los. Im Krankenhaus erklärten uns die Schwestern sorgfältig die hausinternen Maßnahmen zur Vereitelung von Kindesentführungen. Dann vergewisserten sich besorgte Freunde, ob wir über die neuesten Ratschläge zur Verhütung des plötzlichen Kindstods informiert seien. Verwandte wägten die Fallstricke unterschiedlicher Formen der Kinderbetreuung gegeneinander ab: Sie diskutierten über die Gefahren, die von Kindermädchen ausgehen können (potenzielle Kindesmisshandlung) und verglichen sie mit den Gefahren, die womöglich in Kindertagesstätten lauern (potenzielle Vernachlässigung). Aber erst als meine Mutter verkündete, sie könne sich im Fernsehen keine Sendungen mehr über Babys anschauen, weil sie dadurch regelrecht in Angst und Schrecken versetzt würde, wurde uns das ganze Ausmaß der Eltern-Paranoia klar. Es war, als wäre das Überleben meines Kindes permanent bedroht. Sehr schnell wird Eltern wie uns heutzutage die Einsicht vermittelt, dass jedermann feste Ansichten über die Probleme hat, die das Großziehen von Kindern mit sich bringt. Während Politiker regelmäßig verkünden, was ihrer Meinung nach einen 'guten' oder 'verantwortungsvollen' Elternteil ausmacht, steht zugleich ein ganzes Heer von Experten bereit, die uns mit 'hilfreichen' Erkenntnissen aus der Erziehungswissenschaft bombardieren. Diese Branche bringt eine endlose Reihe von Handbüchern, Broschüren und Merkblättern hervor, die alle behaupten, den mittlerweile völlig verängstigten Müttern und Vätern unbedingt nötiges Wissen zu vermitteln. Es hat den Anschein, als seien paradoxerweise gerade die Eltern die einzigen, die nicht wissen, was das Beste für ihr Kind ist. Sie wurden von den selbst ernannten Experten in die Rolle dilettantischer Amateure hineingedrängt. Infolgedessen ist der elterliche Umgang mit Kindern heutzutage von einem Mangel an Selbstbewusstsein geprägt und mit einem hohen Maß an Ängstlichkeit durchsetzt.

Parameter

ISBN
9783821839264
Verlag
Eichborn

Kategorien

Buchvariante

2002

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