Libretto für die Wüste
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Jedes Mal, wenn ich unter Anspannung meiner Einbildungskraft zu der durch die Wüste Deir ez-Zor gehende Todeskarawane stoße, wenn es mit Geschicktheit meiner Sinne gelingt, auf meiner Brust die Kälte des allmählich unbeweglich werdenden Körpers des wegen der verstümmelten Brustwarzen vor Hunger jammernden Kleinkindes zu spüren, oder wenn ich auf Kosten meines emotionalen Gedächtnisses mit dem Atemrhythmus der vom Jatagan weglaufenden Jungfrau keuchen kann, bewegt sich meine mit Zorn gefüllte selbstzufriedene Feder schlangenartig durch das gelbe Gedächtnis des Sandes, bis sie auf den ersten Knochen stößt und innehält. In diesem Augenblick lacht ein Skelett mit lautem Geklapper in mir und verhöhnt mich wegen meiner Tapferkeit und jener Vermessenheit, dass ich quasi, oh, siehe, diese tierische Form der unsäglichen menschlichen Erniedrigung und dieses ungeheure Maß des nicht wiederzugebenden Leides bereits wirklich kenne und sogar so gut, dass ich es mir erlauben kann, sie in eine konkrete Form und Zeile umzuwandeln! Und da ich selbst die Berührung dieses Thema mit Fingern eines Opfers, das kein Augenzeuge gewesen ist, für eine Frage des Rechts halte, werfe ich einer beim Vergehen Ertappten gleich mein Gekritzel sofort in den Mülleimer, nachdem ich es vorher in kleine Stücke zerlegt habe. Ich bin sicher, das gleiche Schicksal hätte auch diesen Versuch meiner mit dem Völkermord verbundenen Autobiografie ereilt, wäre erneut meine prätentiöse Einbildungskraft oder geschwätzige Muse der Beansprucher gewesen, und nicht das Schweigen der hundert Jahre lang mit Sand gefüllten Kiefer, nicht das in meinen Ohren täglich zunehmende defekte, synthetische Rauschen des wahren Blutflusses.