Das Böse als Gottesbeweis
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Abū Manṣūr al-Māturīdī (gest. 333/944) gilt neben seinem Zeitgenossen Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī (gest. 324/936) als eine der prägenden Figuren des sunnitischen Islams und genießt bis heute eine große Autorität. Die Denkschule der Māturīdiyya fand breite Anerkennung in der islamischen Welt und ist heute vom Balkan über die Türkei bis nach Zentralasien prominent vertreten. Dennoch ist unser Wissen über sein Denken sehr begrenzt, da seine Schriften lange Zeit als verschollen galten, bis in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts sein maßgebliches kalām-Werk, das Kitāb at-Tawḥīd, ediert wurde und neue Forschungen anregte. Das Theodizeeproblem ist eine zentrale und hochkomplexe Fragestellung für jede monotheistische Religion. Wie kann im angesichts eines omnipotenten und absolut guten Gottes die Existenz von Bösem erklärt werden? Die islamische Theologie hat seit ihren Anfängen Antworten auf dieses Problem gesucht, wobei auch naturwissenschaftliche Erkenntnisse und weltanschauliche Überlegungen für die Apologie bemüht wurden. Während die meisten Antworten auf eine Leugnung oder Bonisierung des Bösen in der Welt hinausliefen, ist al-Māturīdīs Ansatz bis heute einzigartig in der Geschichte der islamischen Theologie und wartet noch immer darauf weitergedacht zu werden: Das Böse in der Welt ist ein Hinweis auf die Existenz eben des einen, allweisen und allmächtigen Gottes.