Stefan Zweig
28. November 1881 – 23. Februar 1942
Stefan Zweig (* 28. November 1881 in Wien, Österreich-Ungarn; † 23. Februar 1942 in Petrópolis, Bundesstaat Rio de Janeiro, Brasilien) war ein österreichisch-britischer Schriftsteller, Übersetzer und Pazifist.
Zweig gehörte zu den populärsten deutschsprachigen Schriftstellern seiner Zeit. Mit seinen vielgelesenen psychologischen Novellen wie Brennendes Geheimnis (1911), Angst, Brief einer Unbekannten, Amok und literarisierten Biographien, darunter Magellan. Der Mann und seine Tat sowie Triumph oder Tragik des Erasmus von Rotterdam gehörte er zu den bedeutenden deutschsprachigen Erzählern zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Seine Sprache ist durch eine hohe Anschaulichkeit und klangliche Gefälligkeit gekennzeichnet; die Werke sind in ihrer Erzählweise wie den stilistischen Mitteln weitgehend dem Realismus verpflichtet. Sie vereinigen klassische Elemente, darunter einen dramatischen Handlungsverlauf, mit einer psychoanalytischen Figurenzeichnung und mit verschiedenen Perspektiven. So bot Zweig seiner breiten Leserschaft einen Zugang zu einer Literatur, in der ihre Gegenwart reflektiert wurde, ohne sie mit modernistischen Erzählweisen zu konfrontieren. Unter seinen zahlreichen Prosaarbeiten ragen besonders die Schachnovelle, die Sternstunden der Menschheit sowie seine Erinnerungen Die Welt von Gestern hervor. Stefan Samuel Zweig war ein Sohn des wohlhabenden jüdischen Textilunternehmers Mori(t)z Zweig (1845–1926) und dessen Frau Ida Brettauer (1854–1938). Sie entstammte einer reichen – ursprünglich aus Hohenems stammenden – Kaufmanns-/Bankiersfamilie, war aber im italienischen Ancona geboren und aufgewachsen, wohin ihre Familie ausgewandert war. Er wurde in Wien in der elterlichen großbürgerlichen Wohnung Schottenring 14 geboren und wuchs gemeinsam mit seinem Bruder Alfred am Concordiaplatz 1, später in der Rathausstraße 17 im Stadtzentrum auf. Die Zentrale der väterlichen Webwarenfabrik befand sich am Schottenring 32 (Grundstück des späteren Ringturms), dann am Franz-Josefs-Kai 33 (Häuserblock des Hotels Métropole). Die Familie Zweig war nicht religiös, Zweig selbst bezeichnete sich später als „Jude aus Zufall“. Mit dem deutschen Schriftsteller Arnold Zweig ist er nicht verwandt. Am Wiener Gymnasium Wasagasse legte er 1899 seine Matura ab. Anschließend, an der Wiener Universität als Student der Philosophie eingeschrieben, schrieb er zunächst für das Feuilleton der Neuen Freien Presse, dessen Redakteur Theodor Herzl war. Nachdem Gedichte von ihm schon ab 1897 in Zeitschriften veröffentlicht worden waren, erschien 1901 der Gedichtband Silberne Saiten und 1904 seine erste Novelle, Die Liebe der Erika Ewald. In diesem Jahr wurde Stefan Zweig mit einer Dissertation über Die Philosophie des Hippolyte Taine bei Friedrich Jodl in Wien zum Dr. phil. promoviert. Nach und nach entwickelte er eine markante Schreibweise, die behutsame psychologische Deutung mit fesselnder Erzählkraft und brillanter Stilistik verband. Neben eigenen Erzählungen und Essays arbeitete Zweig auch als Journalist sowie als Übersetzer der Werke Verlaines, Baudelaires und insbesondere Émile Verhaerens. Seine Bücher erschienen im Insel-Verlag in Leipzig, mit dessen Verleger Anton Kippenberg er schließlich freundschaftlich verbunden war und dem er die Anregung zur 1912 gegründeten Insel-Bücherei gab, die sich rasch mit sehr großen Verkaufszahlen auf dem Buchmarkt etablieren konnte und noch heute verlegt wird. Nachdem Donald A. Prater, Oliver Matuschek und Benno Geiger auf eine vor 1920 bestehende Tendenz Zweigs zum Exhibitionismus hingewiesen hatten, hinterfragt der Journalist und Literaturwissenschaftler Ulrich Weinzierl in seinem 2015 erschienenen Buch Stefan Zweigs brennendes Geheimnis die Äußerungen von Zweigs früherem Freund und späterem Gegner Benno Geiger („Er litt an der Sucht des Exhibitionismus, das heißt, an dem unwiderstehlichen Drang, sich in Anwesenheit eines jungen Mädchens zu entblößen“) kritisch. Weinzierl findet in Zweigs Aufzeichnungen ab 1912 deutliche Anzeichen auf das von Zweig so genannte „Schauprangertum“ und verklausulierte Andeutungen, er sei im Schönbornpark beinahe erwischt worden. In dieser Zweigs bürgerliche Existenz bedrohenden Neigung sieht der Germanist Weinzierl psychodynamische Mechanismen, die Zweig in künstlerischer Hinsicht angetrieben hätten. Gemäß dem Bonner Psychiater, Gerichtspsychiater und Medizinhistoriker Dieckhöfer zeichnete sich das Phänomen des Exhibitionismus für den Dichter Zweig „letztlich als flüchtiges Durchgangssyndrom werdender charakterlicher Reifung […] inmitten einer kulturell sexualfeindlichen, leibfeindlichen Umwelt“ ab, wobei sich schließlich „ein gesundes Wohl-und-Wehe“ durchsetzte.Zweig pflegte einen großbürgerlichen Lebensstil und reiste sehr viel. So besuchte er auf Anraten von Walther Rathenau im November 1908 fünf Monate lang Britisch-Indien (mit Kalkutta, Benares, Gwalior, Rangun in Burma) und Britisch-Ceylon sowie im Februar 1911 Amerika. Diese Reisen verschafften ihm Kontakte zu anderen Schriftstellern und Künstlern, mit denen er oft lang anhaltende Korrespondenzen führte. Zweig war auch ein begeisterter und in Fachkreisen anerkannter Sammler von Autographen. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte Zweig, wie er im Buch Die Welt von Gestern schreibt: Es gelang, Rainer Maria Rilke im Alter von „fast vierzig Jahren“ „gleichfalls für unser abgelegenes Kriegsarchiv anzufordern … er wurde bald dank einer gütigen medizinischen Untersuchung entlassen“. Zweig beschloss nun, auch unter dem Einfluss eines seiner Freunde, des französischen Pazifisten Romain Rolland, „meinen persönlichen Krieg zu beginnen: den Kampf gegen den Verrat der Vernunft an die aktuelle Massenleidenschaft“. Was er in dieser Zeit empfand, beschrieb er so: 1917 wurde er vom Militärdienst erst beurlaubt, später ganz entlassen. Die Vorbereitung der Aufführung seiner Tragödie „Jeremias“ am Stadttheater eröffnete Zweig die Gelegenheit, nach Zürich zu ziehen. Hier in der neutralen Schweiz arbeitete er außerdem als Korrespondent für die Wiener Neue Freie Presse und publizierte seine humanistische, den partei- und machtpolitischen Interessen völlig fernstehende Meinung auch in der deutschsprachigen Zeitung Pester Lloyd. In der Schweiz lernte er 1918 Erwin Rieger kennen, der später die erste Biographie von Zweig herausgab. Eine besondere Freundschaft verband ihn mit Alfons Petzold, die durch zahlreiche Briefwechsel über einen Zeitraum von 1911 bis 1922 dokumentiert ist. Nach Kriegsende kehrte Zweig nach Österreich zurück. Zufälligerweise reiste er am 24. März 1919 ein, demselben Tag, an dem der letzte österreichische Kaiser, Karl I., ins Exil in die Schweiz ausreiste. Zweig beschrieb diese Begegnung an der Grenze später in seinem Werk Die Welt von Gestern.Zweig fuhr nach Salzburg, wo er im Krieg, 1917, das desolate Paschinger Schlössl auf dem Kapuzinerberg gekauft hatte, um es später zu bewohnen. Im Jänner 1920 heiratete er die von dem Journalisten Felix Winternitz geschiedene Friderike Winternitz, die zwei Töchter in die Ehe brachte. Unter dem Eindruck der fortschreitenden Inflation in Deutschland und Österreich, was den Import ausländischer Bücher in den deutschsprachigen Raum zur Lektüre in der Originalfassung vermutlich auf längere Sicht extrem erschweren würde, riet Zweig dem Verleger des Leipziger Insel Verlags, Anton Kippenberg, zur Edition von fremdsprachiger Literatur in den Originalsprachen als „Orbis Literarum“, die aus den Reihen Bibliotheca Mundi, Libri Librorum und Reihe Pandora bestehen sollte. Allerdings blieben alle drei Reihen erheblich unter den erwarteten Verkaufszahlen und endeten schon nach wenigen Jahren.Als engagierter Intellektueller trat Stefan Zweig vehement gegen Nationalismus und Revanchismus auf und warb für die Idee eines geistig geeinten Europas. In den 1920er Jahren schrieb er viel: Erzählungen, Dramen, Novellen. Die Sammlung historischer Momentaufnahmen Sternstunden der Menschheit von 1927 zählt bis heute zu seinen erfolgreichsten Büchern. 1928 bereiste Stefan Zweig die Sowjetunion, wo seine Bücher auf Betreiben von Maxim Gorki, mit dem er im Briefwechsel stand, auf Russisch herauskamen. Sein 1931 erschienenes Buch Die Heilung durch den Geist widmete er Albert Einstein. Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten im Deutschen Reich im Jahre 1933 wurde deren Einfluss auch in Österreich in Form von Bombenterror und unverhohlenen Auftritten der SA spürbar. Die Christlichsozialen setzten sich gegen die Nationalsozialisten zur Wehr – etwa durch ein Verbot der NSDAP nach einem Handgranatenüberfall auf christlich-deutsche Wehrturner. Zuvor hatten sie die Demokratie abgeschafft, um die Sozialdemokraten ausschalten zu können (siehe Selbstausschaltung des Parlaments); Zweig nahm die nationalsozialistische Bedrohung von Salzburg aus, quasi in Sichtweite des Domizils Hitlers auf dem Obersalzberg, sehr ernst und sah darin ein „Vorspiel [zu] viel weiter reichenden Eingriffen“.Am 18. Februar 1934, wenige Tage nach dem Februaraufstand der Sozialdemokraten gegen den austrofaschistischen Ständestaat, durchsuchten vier Polizisten das Haus des erklärten Pazifisten Stefan Zweig, da eine Denunziation vorlag, dass sich in seinem Haus Waffen des Republikanischen Schutzbundes befänden. Zweig merkte zwar, dass die Durchsuchung nur pro forma durchgeführt wurde, dennoch war er davon tief betroffen, stieg zwei Tage danach in den Zug und emigrierte nach London. Im Deutschen Reich durften seine Bücher nicht mehr im Insel Verlag erscheinen, sondern wurden vom Herbert-Reichner-Verlag Wien verlegt, dem Zweig in diesen Jahren auch als literarischer Berater zur Seite stand. Dennoch rissen die Kontakte nach Deutschland nicht ab. Er unternahm auch eine Reise nach Südamerika. Im März 1933 kam die Verfilmung seiner Novelle Brennendes Geheimnis in die Kinos. Da der Titel im Hinblick auf den Reichstagsbrand viel Anlass zu Spott bot, wurde die weitere Aufführung des Films verboten. Für Richard Strauss konnte er noch das Libretto zur Oper Die schweigsame Frau verfassen; die Oper wurde aufgrund persönlicher Genehmigung Adolf Hitlers in der Dresdner Oper aufgeführt, musste dann aber wegen des jüdischen Autors abgesetzt werden. Zweig wurde auf die Liste der Bücherverbrennungen gesetzt und 1935 in die Liste verbotener Autoren aufgenommen. Im österreichischen Ständestaat wurde er weiterhin ausgesprochen geschätzt, während er im nationalsozialistischen Deutschland als „unerwünscht“ galt. Sein reichsdeutscher Verleger, Anton Kippenberg vom Insel Verlag, musste sich von seinem bedeutendsten Erfolgsautor trennen. Im Exil in England lebend, konnte Zweig über den Reichner-Verlag in Wien nach wie vor ein deutschsprachiges Publikum erreichen; nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wurden seine deutschen Schriften in Schweden gedruckt, wobei er international weiterhin einer der meistgelesenen Autoren seiner Zeit blieb. Seine Ehe mit Friderike Zweig, von der er ab seiner Flucht aus Salzburg 1934 partiell getrennt lebte, wurde im November 1938 in London geschieden. Er hatte sich mit seiner Sekretärin Charlotte Altmann (1908–1942), die aus einer jüdischen Fabrikantenfamilie stammte, auf eine Liaison eingelassen, was seiner Frau nicht verborgen geblieben war. 1939 heiratete er Charlotte Altmann, die ihm auf seinen Reisen gefolgt war. Der Kontakt zu seiner ersten Frau brach aber nie ab, bis zu seinem Tod bestand ein vertrauter Briefkontakt, und es kam auch zu verschiedenen persönlichen Begegnungen. Vor Beginn des Zweiten Weltkrieges suchte Stefan Zweig um die britische Staatsbürgerschaft an. Er zog mit seiner Frau im Juli 1939 von London nach Bath und kaufte sich dort ein Haus (Rosemount, Ecke Lyncombe Hill). Hier begann er die Arbeit an der Biographie über Honoré de Balzac. Seinem Freund Sigmund Freud hielt er nach dessen Tod bei der Trauerfeier am 26. September 1939 im Krematorium von Golder’s Green in London eine Abschiedsrede, die unter dem Titel Worte am Sarge Sigmund Freuds veröffentlicht wurde. Bevor er 1940 die britische Staatsbürgerschaft erhielt, musste er sich als „Enemy Alien“ (feindlicher Ausländer) regelmäßig bei der Polizei melden und durfte nicht ohne Genehmigung verreisen. Mit seinem britischen Pass reiste er über die Stationen New York, Argentinien und Paraguay im Jahr 1940 schließlich nach Brasilien; ein Land, das ihm früher eine triumphale Begrüßung bereitet hatte und für das er eine permanente Einreiseerlaubnis besaß. Laut dem Zweig-Biographen Alberto Dines erhielt Zweig als Prominenter trotz des Antisemitismus der Diktatur Getúlio Vargas’ dieses Dauervisum, da er im Gegenzug ein Buch zugunsten Brasiliens verfassen wollte. 1941 erschien die Monografie Brasilien.1941 erfolgte die Aberkennung des Doktorgrades durch die Nationalsozialisten, welche durch Senatsbeschluss der Universität Wien vom 10. April 2003 für nichtig erklärt wurde, nachdem alle an der Aberkennung Beteiligten bereits verstorben waren. In der Nacht vom 22. zum 23. Februar 1942 nahm sich Stefan Zweig in Petrópolis in den Bergen etwa 50 Kilometer nordöstlich von Rio de Janeiro mit einer Überdosis Veronal das Leben. Depressive Zustände begleiteten ihn seit Jahren. Der Totenschein nennt als Zeitpunkt des Todes den 23. Februar 1942 um 12 Uhr 30 und als Todesursache „Einnahme von Gift – Suizid“. Seine Frau Lotte folgte Zweig in den Tod. Hausangestellte fanden beide gegen 16 Uhr in ihrem Bett: ihn auf dem Rücken liegend mit gefalteten Händen, sie seitlich an ihn gelehnt.In seinem Abschiedsbrief hatte Zweig geschrieben, er werde „aus freiem Willen und mit klaren Sinnen“ aus dem Leben scheiden. Die Zerstörung seiner „geistigen Heimat Europa“ hatte ihn für sein Empfinden entwurzelt, seine Kräfte seien „durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft“. Zweigs Entscheidung, sein Leben zu beenden, stieß nicht überall auf Verständnis, zumal seine materielle Existenz, anders als die vieler Schriftstellerkollegen im Exil, gesichert war. Stefan Zweig wurde ein Symbol für die Intellektuellen im 20. Jahrhundert auf der Flucht vor der Gewaltherrschaft. In diesem Sinne wurde in seinem letzten Wohnhaus in Petrópolis die Casa Stefan Zweig eingerichtet, ein Museum, das nicht nur die Erinnerung an sein Werk bewahren soll.Thomas Mann schrieb 1952 zu Zweigs zehntem Todestag über dessen Pazifismus: „Es gab Zeiten, wo sein radikaler, sein unbedingter Pazifismus mich gequält hat. Er schien bereit, die Herrschaft des Bösen zuzulassen, wenn nur das ihm über alles Verhaßte, der Krieg, dadurch vermieden wurde. Das Problem ist unlösbar. Aber seitdem wir erfahren haben, wie auch ein guter Krieg nichts als Böses zeitigt, denke ich anders über seine Haltung von damals – oder versuche doch, anders darüber zu denken.“So strikt Stefan Zweig eine komplette Trennung von Geist und Politik forderte, so fest stand er für ein vereinigtes Europa in der Tradition Henri Barbusses, Romain Rollands und Émile Verhaerens ein. 2017 wurde er von der brasilianischen Regierung postum mit dem höchsten Orden für Ausländer, dem Ordem Nacional do Cruzeiro do Sul, dem Nationalen Orden vom Kreuz des Südens im Grad eines Kommandeurs (Comendador) geehrt. Die österreichische Botschafterin nahm an seiner Stelle die Auszeichnung in der Casa Stefan Zweig von Petrópolis entgegen. Bereits in früheren Jahren war im Rioaner Stadtviertel Laranjeiras eine Straße, die Rua Stefan Zweig, wo Mitglieder der oberen Mittelklasse Häuser haben, nach ihm benannt worden. Auch in São Paulo und einer Stadt in der nördlichen Peripherie wurden Straßen nach ihm benannt. Zudem trägt eine Escola Estadual im Viertel Vila Ivone im Südosten von São Paulo seinen Namen. Seit 2014 trägt die Pädagogische Hochschule Salzburg den Namen Stefan Zweig.