Wir Heimatlosen
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In einer Besprechung des Bandes ›Wachsender Mond‹ (1988) rühmte Albert von Schirnding Zivilcourage, Streitbarkeit, intellektuelle Neugier der Tagebuch-Schreiberin. Es überrascht nicht, daß die Politik in dem neuen Tagebuch-Band eine zentrale Rolle spielt, nachdem diese Jahre seit 1988 von gewalttätigen Auseinandersetzungen gekennzeichnet waren: das Massaker auf dem Tiananmen-Platz in Peking, der Golfkrieg, der Bürgerkrieg in Jugoslawien. Immer geht es Luise Rinser um die Opfer der Geschichte, Opfer begegnen ihr überall, Vertriebene, Flüchtlinge, Asylanten-Opfer einer zunehmenden Brutalisierung sind ja auch die Tiere, deren Seele und Heil die Aufmerksamkeit der Autorin gilt. Daneben und dazwischen Berichte der unermüdlich Reisenden, Anekdoten aus dem Alltag einer Schriftstellerin und Notate der kritischen Leserin Luise Rinser, für die Literatur bei aller Schärfe der intellektuellen Betrachtung vor allem durch ihre humane Dimension zählt. Faszinierend ist auch die immerwährende Lernbereitschaft von Luise Rinser, die Lernen als schmerzhaften Prozeß der Selbsterkenntnis begreift. Dies bestätigt sich an vielen Stellen des neuen Tagebuchs: nicht zuletzt aus den Verletzungen, die Luise Rinser bei der nachdenklichen Betrachtung unserer Welt erfährt, wird der Leser zum Mit-Leiden aufgerufen: er soll in seiner unreflektierten Sicherheit erschüttert werden. Er darf sich freilich auch trösten lassen, so wie die Blumen und der treue Hund Unio in Rocca di Papa ein bißchen Hoffnung geben.
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