An einem Winterabende war es, als ich mich im Kreise einer befreundeten Familie befand. Der Abend war einer von jenen, an denen die Menschen sich aufgelegt fühlen, sich mit alten Geschichten zu unterhalten, und so kam es, daß meine Wirte aus dem Familienschranke ein Stück hervorholten, das auf sonderbare Weise in ihre Hände gelangt war und nun wie eine Art von Reliquie aufbewahrt wurde. Es war ein kleines silbernes Gefäß von altertümlicher, aber geschmackvoller Arbeit, am oberen Knopfe mit einem Ringe versehen, der darauf hindeutete, daß es vorzeiten an dem Gürtel oder Täschchen einer Frau getragen sein mochte, von außen mit altmodischen, in das Silber eingegrabenen Bildchen geschmückt, die dem Ganzen ein phantastisches Aussehen gaben, das noch vermehrt ward durch einzelne, unregelmäßig darüber hinlaufende Risse, die offenbar nicht von der Hand des Künstlers herrührten. Als ich am oberen Knopfe drehte, klappte das kleine Gefäß auf und ich sah, daß ich ein Büchschen vor mir hatte, wie man sie einst zur Aufbewahrung von Narden und duftigem Gewürzkraut verfertigte, ein sogenanntes Riechbüchschen. Vor einigen Jahren war dasselbe tief im Walde zwischen Wrietzen und Freienwalde, bedeckt von Moos und Steinen, aufgefunden worden, niemand wußte, wie und durch wen es dahingekommen war.
Ernst von Wildenbruch Reihenfolge der Bücher






- 2023
- 2023
Die Haubenlerche
- 158 Seiten
- 6 Lesestunden
Ein freundlicher, sehr sauber gehaltener Garten, der links und im Hintergrunde von einer Mauer eingefaßt ist. Rechts ein zweistöckiges einfaches Wohnhaus, dessen Fenster auf den Garten gehen. In der Mitte des Hauses die Haustür, zu der einige flache Stufen hinaufführen. Die Mauer ist in der Ecke, wo Hintergrund und linke Seite zusammenstoßen, von einer hohen eisernen Gittertür durchbrochen. Durch die Stäbe der Tür sieht man auf die Landstraße hinaus und jenseits derselben einige Arbeiterwohnungen mit kleinen Vorgärten. Es ist frühester Sommermorgen; alles noch schlafend; in der Ferne hört man Hähne krähen; vor den Fenstern des Hauses sind die Läden geschlossen und die Rouleaus niedergelassen
- 2023
Die Karolinger
- 188 Seiten
- 7 Lesestunden
In die erfreuliche Notwendigkeit versetzt, der ersten Ausgabe meiner »Karolinger« jetzt schon eine zweite Auflage folgen zu lassen, fühle ich mich im Hinblick darauf, daß diese neue Auflage gleichzeitig als eine teilweise neue Bearbeitung des Stückes erscheint und einen von der früheren Fassung abweichenden, nicht unerheblich veränderten Schluß aufweist, denjenigen gegenüber, welche das vorliegende Drama in seiner ersten Gestalt kennen gelernt und für dasselbe Interesse gewonnen haben, zu einigen Worten der Erklärung veranlaßt. Die Eigenartigkeit der dramatischen Dichtungsweise bringt es mit sich, daß das Werk mit seiner Entstehung auf dem Papiere noch nicht vollendet und abgeschlossen ist, sondern erst in der Berührung mit der Bühne, unter der lebendigen Mitwirkung der Zuhörerschaft zu voller Körperlichkeit sich entwickelt. Erst wenn er als Zuschauer unter Zuschauern die eigenen Gestalten an sich vorüberwandeln sieht, ist der dramatische Dichter in die perspektivisch richtige Entfernung von seinem Werke geruckt, um prüfen zu können, ob sein dramatischer Gedanke imstande gewesen ist, sich einen dramatischen Leib zu schaffen; das eigene Werk löst sich von ihm los und tritt ihm wie ein fremdes gegenüber, und je mächtiger der in ihm treibende dramatische Instinkt ist, um so energischer wird diese Loslösung sich vollziehen.
- 2023
Das wandernde Licht
- 122 Seiten
- 5 Lesestunden
An der kleinen Station, die nicht weit hinter Breslau an dem großen Schienenstrange liegt, der, Schlesien durchquerend, Berlin mit Wien verbindet, war zu später Abendstunde der Eisenbahnzug angekommen. Es war keiner von den Kurierzügen; wenige Fahrgäste nur saßen in den Wagen verteilt; auf der Station stiegen nicht mehr als zwei Reisende aus. Dies waren zwei Männer, von denen der eine, der bejahrter und dicker als der andre war, sogleich von dem Gepäckträger des Bahnhofs in Empfang genommen und begrüßt wurde. Er schien am Orte bekannt zu sein, und das war natürlich genug, denn es war der Arzt, der in der kleinen, etwa zwei Meilen hinter der Station landeinwärts gelegenen Stadt seinen Wohnsitz hatte. »Ist der Wagen da?« fragte er den Gepäckträger; dem er seine Reisetasche anvertraute; er war offenbar nur zu einem kurzen Ausfluge von Hause fort gewesen. »Is da, Herr Dukter,« erwiderte jener; »die Frau Dukter hat och den Mantel für'n Herrn mit eingelegt, wird aber nicht nötig sein, is scheenes Wetter heut abend zur Nacht.« Jetzt wandte sich der Arzt an den Mitreisenden.
- 2023
Tintenfisch
- 94 Seiten
- 4 Lesestunden
Wenn man hinuntersteigt in die dämmerigen Gänge des Berliner Aquariums, eindringt ins Bereich der »purpurnen Finsternis«, dann verhallt, je weiter wir dringen, hinter uns der Lärm des Lebens, aus dem wir von droben kommen. Stille wird um uns her, die Lautlosigkeit des Schweigens endlich machen wir Halt: nun sind wir am Grunde des Meeres. Es umfängt uns die Welt, in der es keine Stimmen mehr gibt, keine Töne und Geräusche, die stumme, die taube Welt der unendlichen Tiefe. Glasscheiben zu den Seiten des Wegs spenden ein mattes, bläuliches Licht. Die Fenster sind es der unterirdischen Behausung. Aber diese Fenster blicken nicht in den Himmel, sondern ins Wasser; in schwerer, zwischen den Wänden der Behälter aufgestauter Masse steht Meeresflut hinter den gläsernen Scheiben. Tageslicht, von fern herabsinkend,durchleuchtet mit gebrochenem Schimmer den flüssigen Kristall. Und in diesem Kristall, da sind sie nun, da leben, ruhen und bewegen sie sich, die wundersamen Geschöpfe der wundersamen Welt. Diese Pflanzen, die halb noch Pflanzen und halb schon Tiere, am Grunde wurzeln und doch mit unheimlicher Gier die Armbüschel aufrecken, wenn die Fleischbrocken herabsinken, mit denen sie gefüttert werden, diese Fische, die mit klappenden Kiemen, mit großen, runden, glotzenden Augen vorüberziehn. Geschöpfe, so farblos die einen, daß man sie vom Boden nicht unterscheidet, in dem sie lagern, und andere wieder so farbenprächtig, als hatte ein Sonnenstrahl mit allen sieben Farben des Regenbogens sich herunter verirrt und zum Körper verdichtet; Lebewesen, wie aus Hauch zusammengeblasen die einen, und wie plumpe Knorren und Baumstrünke die anderen: Krebse, die auf krummen, spitzen Schneiderbeinen durch den Sand waten, und mächtige Seeschildkröten, die mit flossenartigen Füßen umher rudern, als fächelten sie sich Luft. Und das alles ohne einen Ton, einen Laut, eine Welt, in die man hineinsieht und von der man nichts hört. Lautlos alle Kundgebungen dieses geheimnisvollen Lebens, die friedlichen, wie die feindseligen. Denn manchmal geschieht es, daß da drunten eines über das andere herfällt. Dann entsteht ein Kampf, manchmal auf Leben und Tod; und auch das geht lautlos vor sich, ein stummes Ringen, Würgen, Töten und Getötetwerden.
- 2023
Ich war ein eifriger Spaziergänger und wählte fast immer einen und denselben Weg; man lernt dabei jeden Stein und jedes Blatt am Wege kennen, man empfindet doppelt die belebende Wonne des Frühlings, wenn man den Busch, den man im Winter wie einen Besen zum Himmel ragen sah, mit Knospen sich bedecken sieht; man beobachtet, wie von gestern zu heute die Knospen aufgebrochen sind, wie sich Blättchen ansetzen, wie sie immer größer wachsen, immer dunkler sich färben, und so, jeden Tag in die lautlose Werkstatt der schaffenden Natur blickend, liest man von Tage zu Tage wie an einer großen Uhr den rastlosen Wandel der Zeit. Ob diese Empfindungen es waren, die auch ihn bewegten, den Weg, den ich mir zum Spaziergang ersehen hatte, regelmäßig, beinahe täglich zu gehen, ich weiß es nicht; jedenfalls aber mußte der Weg auch ihm gefallen, und er war auch hübsch genug.
- 2010
MARTIN lüftet die Kappe. Gott zum Gruß die gestrengen Herr'n; gilt die Ehre mir? PERWENITZ zu Rieneke. Seht, Ihr Herr'n, das ist Meister Martin, unsres Rates Küfer und Kellermeister. Hat einen Keller, seht Ihr, liegt dicht an der Spree und kommt Euch doch kein Tropfen Wasser hinein. MARTIN. Hängt Euer Insiegel an das Wort, Herr Burgemeister, Ihr habt kein wahreres noch gesprochen. PERWENITZ. Von seinem Keller könnt ich Euch Dinge erzählen es hat Leute gegeben, die zu Ostern hinuntergestiegen sind und als sie herauskamen, läutete man zu Pfingsten. Meister Martin, nun sollst du zeigen, was du kannst: hier sind zwei Herren aus dem Morgenland, von Oderberg, verstehst du? Wo die Fässer entlang geschwommen kommen mit dem süßen Wein aus Ungarland. MARTIN. Könnt Ihr haben bei mir. Kaiser Siegmund auf der Burg zu Ofen trinkt keinen besseren. Aber du meine Güte, da stehen die gestrengen Herren sich die Beine in den Leib! Klatscht in die Hände, nach dem Keller gewandt. He! He! He! Stühle herbei! Bänke und Tische! Sitzen die Gestrengen hier draußen?
- 1939
- 1925
Der Meister von Tanagra
- 86 Seiten
- 4 Lesestunden
»Wir haben nicht mehr weit bis Tanagra, und der schönere Teil unseres Weges liegt vor uns,« sagte ein schwarzlockiger, schlankgebauter Mann, der sich am nördlichen Ausgange von Oropos, einem Städtchen, das hart auf der Grenze von Attika und Böotien lag, zu dem harrenden Gefährten auf den Reisewagen schwang. Der Stachelstock flog auf die Pferde herab, und klappernd rollte das leichte Gefährt unter dem niedrig gewölbten Stadttore hinaus ins Freie. Mit einer Leidenschaftlichkeit, die seiner Gebärde etwas von der Bewegung eines Panthers verlieh, schnellte der Mann vom Wagensitze empor und trank mit halb geöffneten Lippen den Strom erquickender Morgenluft, der in breiter, duftender Welle den beiden Reisenden entgegenschlug. Der Wind war frisch und feucht, denn er kam von dem Euböischen Meere herüber, das zur Rechten des Weges, in langen Wogen an das Ufer spülte; und mit dem Hauche des Meeres vermischte sich der berauschende Duft blühender Olivenbäume, die rechts und links die Straße umsäumten und nach Norden zu, soweit der Blick reichte, die Hügel des böotischen Landes mit dichter Waldung bekleideten.
- 1920



